Rudolf Bott und Johannes Nagel

„Asymptote“ nennt Rosemarie Jäger ihre Ausstellung der Spitzenklasse zum Thema Gefäß.

„Asymptote“ – Unter diesem ungewöhnlichen Titel präsentiert die Galerie Rosemarie Jäger die Werke zweier Künstler, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Eine Asymptote ist in der Mathematik eine Linie, der sich der Graph einer Funktion im Unendlichen immer weiter annähert – normalerweise ohne die Linie zu schneiden. Salopp gesagt handelt es sich also um zwei Linien, die sich irgendwo ganz weit hinten treffen mögen – im Hier und Jetzt aber nicht.

Galerie Rosemarie Jäger, Rudolf Bott

Arbeiten von Rudolf Bott in der Ausstellung „Asymptote“ in der Galerie Rosemarie Jäger, Foto Johannes Nagel.

Genau das trifft auf Rudolf Bott und Johannes Nagel zu. Beiden gemeinsam ist ihre tiefe intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Gefäß – insofern sind sie sich sehr nah. Doch beide gehen sehr unterschiedlich an die Umsetzung ihrer Gefäße heran.

Da ist auf der einen Seite Johannes Nagel (*1979). Seine keramischen Gefäße sind weder gedreht noch gebaut, sie sind „gegraben“: Mit den bloßen Händen gräbt Nagel Löcher in mit Sand befüllte Kisten und gießt diese dann mit Porzellan aus.

Die Hohlformen im Sand sind über die Jahre zu komplexen Tunnelsystemen angewachsen, dabei legt der Künstler sie völlig blind an, seine Hände tasten unterirdisch im Dunkeln. Das im Handwerk so wichtige prüfende Auge kann das Objekt erst nach dem Freilegen bewerten. So entstehen Formen, die wie organisch gewachsen wirken. Gleichzeitig spielt Nagel mit dem Kontrollverlust: wie und wo die einzelnen Teile am Ende aufeinandertreffen, weiß er vorher nicht so genau.

Johannes Nagel, Galerie Rosemarie Jäger

Keramikskulptur von Johannes Nagel. Foto Johannes Nagel.

Nagels Vorgehensweise ist die Umkehrung der üblichen Art, Keramik herzustellen. Er baut nicht auf, er nimmt weg. Das entspricht etwa der Arbeit eines Druckgraphikers, der die Linien, die später das Bild ergeben, erst einmal aus dem Druckstock herausschneidet. Obwohl Nagel seine Vasen bei der Entstehung nicht berührt, spürt man doch unmittelbar die Hand, die die Hohlform gegraben hat.

Hier und da kann man noch Fingerspuren erkennen, aber nie zu plakativ, eher im Sinn einer gefrorenen Bewegung oder eingebrannten Geste, die den schöpferischen Akt festhält. Seine Gefäße sind als Kommentar auf die Geschichte der Keramik zu verstehen. Durch archetypische Elemente wie etwa Silhouette oder blütenförmige Öffnungen sind sie immer sofort als Vase erkennbar. Trotzdem sind im Wortsinn „Eingriffe“ in die Tradition, ein Neudenken, die materialisierte Idee von „Es geht auch anders“.

Ganz anders Rudolf Bott (*1956). Auch er ist ein Denker; seine Gefäße veranlassen, ja zwingen zum Nachdenken über ihre Benutzung. Handlungen dürfen nicht lapidar werden, sagt Bott. Seine Gefäße stehen dabei ganz für sich selbst, ihr Schöpfer tritt bis zur Unsichtbarkeit hinter sie zurück: Das äußert sich in spiegelnden, geschliffenen Oberflächen, die nichts von der Art ihrer Bearbeitung preisgeben, dafür aber von einer Aura der Erhabenheit umweht sind. Manche Objekte erscheinen wie freie Skulpturen, doch immer versteckt sich in ihnen ein geheimnisvoller Mechanismus, der in ein verstecktes Inneres führt und die nur scheinbar funktionsfreie Skulptur zur benutzbaren Dose macht. So sind alle Objekte von Rudolf Bott durchaus zur Benutzung gedacht, und sind doch gleichzeitig gebaute Denkanstöße über unseren Umgang mit den Dingen.

Rudolf Bott und Johannes Nagel

Gefäßskulpturen von Rudolf Bott und Johannes Nagel. Foto Johannes Nagel.

Silberschmieden heißt für Rudolf Bott „ein Detail im Raum platzieren“. Mit Silber hat es für ihn wenig zu tun, er arbeitet zum Beispiel auch mit Aluminium, Holz, Hämatit oder Bergkristall. Sein Becher aus Bergkristall ist massiv und gleichzeitig transzendent, ein massiges, schweres Nichts, mit einem überraschend kräftigen Boden. Der Becher scheint wie aus einem Eisblock geschnitten, Licht dringt von allen Seiten ein. Füllt man den Becher mit einem Getränk, scheint die Flüssigkeit darin zu schweben.

Über seine Entstehung oder seine Schöpfer erzählt das Gefäß nichts. Rudolf Bott will keine persönliche Geschichte oder irgendeinen spezifischen Charakter ausstrahlen: Er will etwas Allgemeingültiges schaffen, das über die einzelne Person hinausweist.

  • Rudolf Bott und Johannes Nagel:
    „Asymptote“
    Galerie Rosemarie Jäger
    Wintergasse 13
    65239 Hochheim
    Deutschland
  • Die Ausstellung ist bis 16.10.2021 in der Galerie Rosemarie Jäger zu sehen.
    Vom 17. bis 21.11. wird die Galerie auf der Cologne Fine Art & Design in Köln vertreten sein.
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