Experimentierfreude, alte und neue Techniken, Bezüge zur Umweltproblematik. Die wegen dem Corona-Virus abgesagte Sonderschau des Nachwuchses auf der „Handwerk & Design“ wäre vielfältig wie selten zuvor gewesen. Die Grenzen zwischen Kunst, Design und Handwerk sind heute fließend. Der Beitrag zeigt aktuelle Entwicklungen.
2020 präsentiert die Sonderausstellung „Talente“ auf der „Handwerk & Design“ Arbeiten von 99 jungen Gestalter:innen oder Teams aus 30 Ländern in 14 Gewerken. Besonders innovative Arbeiten sind in den Bereichen Glas, Keramik und Schmuck zu sehen, ebenso wird eine große Anzahl interessanter Textilien vorgestellt. Die Einreichungen zeigen, dass Klimawandel, Nachhaltigkeit und Upcycling große Themen der Gegenwart sind. So gibt es Gewebe aus Hanf und Algen von Rose Ekwe, Möbel aus Basaltfasern von Idalene Rapp und Natascha Unger, farbenfrohe Oberflächen und Tabletts aus Sedimentablagerungen von Yann Santerre sowie Bürstengriffe aus Algen von Sophie Katharina Stanitzek. Im Textilbereich der Talente-Schau werden zudem Projekte mit geflickten Kleidungsstücken und umweltfreundlichen Handtüchern vorgestellt. Dazu gehört auch, dass Produkte entwickelt wurden, die funktional und langlebig sind. Niklas Böll demonstriert, wie durch einfache Verfahren interessante Wirkungen erzielt werden können, z. B. Ornamente mittels Befeuchtung von Holz.
Der Frage nach der Wertigkeit einzelner Stoffe wird durch den Einsatz von Trompe l’œil-Effekten nachgegangen. Nari Haase kombiniert in ihrem Teppichentwurf unterschiedlich gefärbte Wolle und macht damit deren vielschichtige Materialität sichtbar. Tereza Hruskova zeigt in ihrer Vasenserie „2841” handwerkliche Produktionsprozesse, die durch die Massenproduktion in Gefahr geraten, verdrängt zu werden. Ayaka Terajima bezieht sich in ihrem Keramikobjekt auf Konsum und Bequemlichkeit, die in riesigen Mengen von nicht abbaubarem Verpackungsmüll münden.
Ein anderes Thema ist die Kombination von neuen digitalen Technologien und traditioneller Handwerkskunst. Bewusst spielen Maurice Riegler und Lennard Wilde mit der Perfektion digitaler Produktion, die mit traditionellen Werkzeugen nicht umzusetzen wären. Zugleich wird aber auch die zunehmende Mechanisierung des Alltags hinterfragt. Dieser Zwiespalt von gleichzeitig als Bedrohung und Erleichterung empfundener Mechanisierung und Digitalisierung des Alltags wird im Medium Keramik und Schmuck aufgegriffen. Stefan Holzmair hat in seinen Keramikobjekten die Ambivalenz von Unbehagen und Gestaltungsspass umgesetzt. In Schmuckarbeiten, z.b. bei Alla Ozhegova, wird die digitale Überwachung thematisiert.
Weitere Themen bilden zeitpolitische Probleme wie der Brexit bei Jordan Furze und die nationalistischen Strömungen, die im Medium Schmuck und Textil gestalterisch umgesetzt werden, indem mit den Symbolen der politischen Verantwortung bzw. der Nationalflagge kritisch und ironisch gearbeitet wird. Kritisch befasst sich Kristina Neumann in ihrem Schmuck auch mit den Lebensbedingungen in den Städten, in denen die Kosten so gestiegen sind, dass es für junge Leute oder ärmere Menschen kaum möglich ist, Wohnraum zu finden. Amelia Rosenberg setzt sich in einer Wandarbeit mit der Geschichte der eigenen Familie im nationalsozialistischen Deutschland der 1930er und 40er Jahre auseinander.
Daneben finden sich auch Arbeiten, die sich mit der Vergangenheit und Tradition der verschiedenen Gewerke beschäftigen sowie Inspiration aus der Natur beziehen. Der Rückgriff auf die Vergangenheit dient als Anregung und Experiment, um eigene Positionen zu entwickeln. Die Umsetzung der Natureinflüsse wiederum soll zu einem erhöhten Bewusstsein gegenüber den alltäglichen Reizen und zu einer Entschleunigung beitragen, so in der Brosche von Shuoyuan Bai. Dabei kann diese Naturanregung auch sehr spezifisch erfolgen, z.B. bei Carolin Ott durch Sammlungsformen wie das Herbarium oder durch literarische Schilderungen.
Wie bereits in den letzten Jahren ging wieder eine sehr hohe Anzahl von Bewerbungen für den Bereich Schmuck ein. Ziel der Auswahl ist es, die unterschiedlichen Positionen und Ansätze vorzustellen. Die Arbeiten sind in einer Fülle unterschiedlicher Materialien ausgeführt. Sie greifen nicht nur persönliche Anliegen auf, die sich mit dem Leben unter verschiedenen Aspekten und der Individualität beschäftigen, sondern auch zu Assoziationen und der Reflexion über die Vergänglichkeit und das Wesen der Realität einladen. Neben dem „klassischen“ Schmuckthema – dem Verhältnis von Schmuck zum Körper und seinem Bezug zu Emotionen – erfolgt auch ein Dialog mit den Materialien und wird angeregt, das Bewusstsein gegenüber der Schönheit der Umgebung und der Natur zu schärfen so wie bei Jiyoung Jang und Xihan Zhai.
Insgesamt scheint nun weniger eine Beschäftigung mit individuell-persönlichen Problemen zu erfolgen, sondern wird die künstlerisch-gestalterische Tätigkeit für die Artikulation von politisch-sozialen Anliegen und solchen aus dem Bereich Klimaschutz und Umwelt sowie zu Erkundungen und Experimenten im Bereich der Materialmöglichkeiten und Herstellungsverfahren genutzt. Die Verleihung der „Talente-Preise“ durch eine internationale Jury erfolgt am 14. März 2020 auf der Bühne in der Halle B1.
Text: Michaela Braesel