Die ATTA Gallery in Bangkok repräsentiert seit 2010 zeitgenössischen Schmuck. Die Galeristin Atinuj Tantivit – ihre Freunde nennen sie Atty – sammelte selbst Schmuck, bevor sie die erste und bislang einzige Galerie für dieses Genre in ihrem Land eröffnete. Fragen an eine Pionierin der Schmuckkunst in Fernost.
Art Aurea Sie hatten bereits vor Ihrer Zeit als Galeristin in Bangkok künstlerischen Schmuck gesammelt. Wie ist es dazu gekommen? Wo und wann haben Sie zeitgenössischen Schmuck kennengelernt?
Atinuj Tantivit Als ich zwischen 1994 und 2004 in den USA studierte und lebte, begann ich mit dem Sammeln von indianischem Schmuck. Nach meinem Abschluss in Marine Resource Management in Miami arbeitete ich eine Weile auf dem Gebiet der Meereswissenschaften und begann als Hobby, Schmuck zu machen, das interessierte mich bald mehr als in ein Büro zu gehen. Zu dieser Zeit kaufte ich auch meinen ersten zeitgenössischen Schmuck. Er war von Gabrielle Gould, einer amerikanischen Künstlerin, die von einer lokalen Galerie für Kunsthandwerk vertreten wird. Nachdem ich über meine Möglichkeiten nachgedacht hatte, entschloss ich mich, die Meereswissenschaften aufzugeben und begann, die Schmuckwelt zu erkunden. Ich dachte, ich müsste mehr über Edelsteine wissen, also schrieb ich mich am GIA in Kalifornien ein, um Gemmologie zu studieren. Zu dieser Zeit suchte ich auch nach Büchern über modernen Schmuck, obwohl ich noch nichts darüber wusste und die Szene für zeitgenössischen Schmuck in den USA nicht groß war. Deshalb ging ich nach Europa – wo ich von 2004 bis 2008 blieb – um Kurse zu belegen. Mein erstes zeitgenössisches Schmuckstück kaufte ich in der Galerie von Louise Smit in Amsterdam. Es war Beppe Kesslers Halskette „Never a dull moment” [nie ein langweiliger Moment]. Der größte Teil meiner frühen Ausbildung im zeitgenössischen Schmuck stammt aus Büchern. Ich habe immer noch eine große Sammlung von Büchern über Schmuck in der ATTA-Galerie. Meine erste Erfahrung, die mir die Augen öffnete, war die Ausstellung „Schmuck“ in München im Jahr 2009, auf der ich weitere Stücke kaufte. Das war aber erst der Anfang!
AA Für welche Künstler:innen haben Sie sich damals interessiert?
AT Durch Bücher bin ich auf Tone Vigeland gestoßen und habe mich in ihre Werke verliebt. Ich mag Schmuck mit beweglichen Elementen. Auch Kreationen von Herman Jünger habe ich so entdeckt, aber wusste noch nicht, wie wichtig er zu seiner Zeit für zeitgenössischen Schmuck war. David Bielanders Werke haben mich auch fasziniert.
AA Zeitgenössischer Schmuck hat eine mehr als 50-jährige Tradition in Europa, wo er an vielen Akademien und Schulen unterrichtet wird. Zumindest seine Protagonisten betrachten ihn jetzt als eigenständige Kunstform. Können Sie etwas über die Entwicklung in Asien und insbesondere in Thailand sagen?
AT Leider ist dies in Thailand nicht der Fall. Als ich 2006 zurückkam, gab es eine Universität, die seit fast zehn Jahren Schmuckdesign mit Bezügen zur Kunst lehrte. Ich war sehr gespannt auf die Entwicklung in diesem Gebiet in Thailand. Seitdem wurde das Programm jedoch aufgrund von Bildungsreformen und einer internen Politik, die ich nicht ganz verstehe, zunehmend kommerzialisiert. Derzeit wird Schmuckdesign in Abteilungen für dekorative Kunst oder Produktdesign unterrichtet. Es wird immer noch als „angewandte Kunst“ angesehen und eher nach seiner Funktion als nach dem „Warum“ und dem „Wie“ seiner Entstehung beurteilt. Ich denke, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Die ATTA Gallery ist als spezialisierte Kunstgalerie anerkannt, nicht als Schmuckgeschäft. Indem wir verschiedene Arten von zeitgenössischem Schmuck aus dem Ausland nach Thailand bringen, scheint sich unser Publikum auf die Idee einzulassen, dass zeitgenössischer Schmuck eine eigenständige Kunstform sein kann.
AA Zu den in Ihrer Galerie vertretenen Künstlern gehören eine Reihe international bekannter Namen aus Europa. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Künstler aus?
AT Das Motto unserer Galerie lautet: „Drücken Sie Ihr ATTA durch zeitgenössische Schmuckkunst aus.“ Atta bedeutet Selbst. Somit ermutigen wir Künstler:innen, sich durch ihren Schmuck auszudrücken, und wir ermutigen Träger:innen, Schmuck zu finden, der sie persönlich anspricht, anstatt einfach nur Trends zu folgen. Aus diesem Grund vertreten wir Künstler, die in ihre Arbeiten eigenständig und originell sind. Ich versuche auch, eine gute Mischung verschiedener Arten von Schmuck zu präsentieren, um dem lokalen Publikum einen Gesamtüberblick darüber zu geben, was in der Welt des zeitgenössischen Schmucks passiert. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass wir mit unseren Künstler:innen kommunizieren können und gute Geschäftsbeziehungen haben. Wir sind sehr weit von den Künstler:innen entfernt, daher ist Vertrauen sehr wichtig.
AA Welche Kunden sprechen Sie mit dieser Auswahl an? Und wächst Ihre Fangemeinde?
AT Wir hoffen, Menschen zu erreichen, die Kunst mögen, selbstbewusst sind und bis zu einem gewissen Grad anders sein wollen oder ihre Einzigartigkeit durch Schmuck zum Ausdruck bringen möchten. Unsere Fangemeinde wächst nur sehr langsam, obwohl die zeitgenössische Kunstszene in Thailand in den letzten fünf Jahren gewachsen ist und wir dadurch ein größeres Interesse feststellen. Da wir seit fast zehn Jahren präsent sind, haben wir auch das Vertrauen des internationalen Publikums gewonnen, was sich in einer breiteren Kundenbasis niederschlägt.
AA Thailand ist ein sogenanntes „Schwellenland“, derzeit mit einer Militärregierung. Der Tourismus ist sehr wichtig für die Wirtschaft. Welche Bedeutung hat traditionelle Handwerkskunst in Thailand? Und gibt es zeitgemäße Entwicklungen?
AT Wir sind stolz auf unsere altehrwürdige Handwerkskunst mit unserem traditionellen Goldschmuck. Es gibt jedoch nicht viele lokale Künstler:innen, die traditionelle Techniken und kulturelle Elemente in zeitgenössischen Schmuck übertragen. Das Konzept kultureller Bewahrung ist bei uns ziemlich stark, aber dies behindert den Prozess einer nachhaltigen Transformation traditioneller Techniken und Werte in die Zukunft. Viele Regierungsbehörden haben versucht, Designer mit lokalen Goldschmieden zusammenzubringen, aber die Ergebnisse waren weder effektiv noch nachhaltig. Viele Projekte waren nur wissenschaftlicher Natur ohne wirkliche Auswirkungen auf die Praxis oder den Markt. Rudee Tanchahroen ist jedoch eine lokale Künstlerin, die versucht, traditionelle Handwerkstechniken in zeitgenössischen Schmuckstücken anzuwenden. Sie interpretiert traditionelle Handwerkstechnik neu und hat bewiesen, dass man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.
AA Sie hatten geplant, im März 2020 an der Internationalen Handwerksmesse in München teilzunehmen, aber die Messe wurde wegen des Coronavirus abgesagt. Was bedeutet diese Stornierung für Sie?
AT Es bedeutet einen Verlust der Gelegenheit, großartige Werke von Künstler:innen zu präsentieren, die wir vertreten. Dies bedeutet für alle Einkommensverluste. Die Künstler:innen haben hart daran gearbeitet, neue Stücke für die IHM herzustellen, da dies die größte internationale Plattform für unser Gebiet ist. Die Künstler:innen haben Zeit und Geld in diese Arbeit investiert. Zweidimensionale Bilder auf Social-Media-Plattformen können ihren Stücken nicht gerecht werden. Eine Messe bietet dem Publikum die Möglichkeit, Schmuck als sehr intime Gegenstände zu erleben, die am Körper getragen werden. Zeitgenössischer Schmuck muss meiner Ansicht nach berührt und anprobiert werden, damit potenzielle Träger:innen erleben können, wie sie persönlich mit den Stücken interagieren. Und die Messe in München ist für mich fast die einzige Gelegenheit, mit Künstlern, Sammlern, Studenten und anderen Galeristen außerhalb Asiens in Kontakt zu treten. Dies ist wichtig, da nichts mehr Vertrauen und Zusammenarbeit schafft als persönliche Beziehungen. Es ist sehr schade, dass uns diese Gelegenheit dieses Jahr genommen wurde.
AA Die ganze Welt erlebt derzeit die Schockwellen der Coronakrise, die den Tourismus, den Handel, fast die ganze Wirtschaft und jeden einzelnen treffen. Diese Krise wird jedoch sicherlich irgendwann vorbei sein. Haben Sie eine Idee, was die Menschheit daraus lernen könnte?
AT Ich denke, wir müssen lernen, belastbar und anpassungsfähig zu sein. Eine wichtige Lehre im Buddhismus ist, dass nichts beständig ist. Wir müssen bereit sein, uns ständigen Veränderungen und Herausforderungen zu stellen, und dennoch optimistisch in Bezug auf das Leben sein. Einschränkungen sind nicht dazu da, uns einzuschränken, sondern uns herauszufordern, auf kreative Weise damit fertigzuwerden.