Walter Bosse (1904, Wien – 1979, Iserlohn) war ein Künstler, Designer und Keramiker, dessen Oeuvre in zahlreichen Privatsammlungen und Museen im In- und Ausland vertreten ist. Bekannt für seine Entwürfe von Messingfiguren, manifestierte er in seiner frühen Keramikproduktion zweifellos das Beste seiner ikonischen Kreativität und Originalität. Im Mittelpunkt der Ausstellung bei Brutto Gusto in Berlin steht eine Auswahl von rund zwanzig seltenen Keramikfiguren, von denen die meisten aus der Zeit von 1924 bis 1937 stammen, einer Zeit, in der er in seinem Atelier in Kufstein arbeitete.
Udo Kittelmann über Walter Bosse
Im Wissen um Vergangenes wünscht man sich manchmal zurück in längst vergangene Zeiten. In solchen träumerischen Momenten wäre man Zeuge von diesem und jenem historischen Ereignis, würde durch legendäre Orte und Straßen flanieren, würde diesem oder jenem Menschen begegnen wollen. So geht es mir auch wieder, seit ich weiß, dass Kafkas Verlobte Felice Bauer gleich um die Ecke meiner Berliner Wohnung lebte. Und einst, im schweizerischen Ascona sitzend und diesen kleinen Text schreibend, machte ich mir für einen kurzen Moment die Vorstellung zu eigen, Teil der Reform- und Widerstandsbewegung des Monte Verità zu Anfang des 20. Jahrhunderts gewesen zu sein. Und wenn ich jetzt an Walter Bosse denke, stelle ich mir vor, wie ich als reisender Flaneur durch die Zeiten, sagen wir spätestens 1938, vor dem Schaufenster des „Bosse-Ladens“ im österreichischen Kitzbühel stehe und alle seine wunderbaren keramischen Schöpfungen das erste Mal zusammen auf engstem Raume ausgestellt sehe. Und ich sehe mich auch sofort darauf in das Geschäft hineingehen um kurz darauf dieses mit meiner ersten Keramikfigur von Walter Bosse, einem pausbackigen Jungen mit Ziehharmonika, wieder zu verlassen, die in der Folge den Grundstock einer kleinen Sammlung bilden sollte.
Wer war Walter Bosse? Geboren 1904 in Wien entwickelte Bosse schon in frühen Jahren ein künstlerisches Talent und besuchte zunächst zur Ausbildung die seinerzeitige Wiener Kunstgewerbeschule des Museums für Kunst und Industrie. Kein geringerer als Josef Hoffmann, der bedeutende Architekt und Designer der Wiener Werkstätten, förderte Bosses große Begabung von Beginn an. Aber nicht zur Architektur zog es Bosse, vielmehr widmete er sich ab 1922 in seiner eigenen kleinen Werkstatt in Kufstein seinen zahlreichen und immer origineller werdenden keramischen Entwürfen. In diesen Jahren entsteht ein farbenprächtiger Reigen von Jungen und Mädchen, Putten und Mönchen, Bäumen und Blumen und vor allen Dingen eine immer größer werdende Menagerie von teils skurrilen und groteskhaften Tierdarstellungen: Katzen, Hunde, Vögel, Hasen, Rehe, Pferdchen, Frösche, Elefanten und Äffchen und andere Mischwesen. Sein rot-gelber Drachenhund erregte schließlich 1925 auf der Pariser Kunstgewerbeausstellung im Grand Palais eine erste internationale Aufmerksamkeit. Im begleitenden Katalog findet sich folgende Anmerkung: „Als starke keramische Begabung fällt unter den österreichischen Künstlern der junge Walter Bosse aus Kufstein auf, der bei seinen Tiergrotesken immer neue witzige und drollige Einfälle in eine bei aller Primitivität humoristische Übertreibung und Bewegtheit in eine charakteristische und klare Formensprache umzusetzen weiß.“
In den folgenden Jahren entstehen immer weitere Figuren, die unübersehbar nur von Bosse sein konnten: Keinem anderen Keramikkünstler vor ihm, und ich glaube auch nicht nach ihm, ist es gelungen derart wundervolle und bezaubernde Wesen in Ton zu formen. Auf unübertroffene Art und Weise hat er seinen vielen Figuren Ausdruck von Seele und Gefühl eingehaucht, wie es ansonsten nur der Naivität von Kindern oder eben großen Künstlern vorbehaltenen ist. Münder und Lippen, Augen, Hände und Finger, von Locken umgarnte Köpfe und Ohren, die flauschigen Pfoten und gedrechselten Schwänze seiner Tiere, die applizierten Pflanzengewächse und Blütenstengel, die Mimik seiner Schöpfungen, alles gerät bei Walter Bosse in eine unübertroffene Darstellung kindlicher Verspieltheit. Sozusagen als Krönung seiner Schöpfungen versieht Bosse seine Figuren schließlich mit Lasuren, die ebenfalls in ihrer expressiven Stilsicherheit ihresgleichen suchen: Hier ein kräftiges mediterranes Blau, dort ein leuchtendes Zitronengelb, dann ein glühendes Rot, ein zartes Rosa, dazu ein wenig oder auch mal mehr Fliederblau, ein Hauch von Türkis, teeriges Schwarz und manchmal sogar ein kräftiges Orange. Aber das alles wird nicht plakativ aufgetragen, vielmehr werden die leuchtenden Farben mit scheinbar leichter Hand geschickt akzentuiert und komponiert. Andere wiederum erscheinen wie eine ineinander verlaufende Symphonie der buntesten Farben. Hier zeigt sich Bosse nicht nur als ein Meister der Töpferscheibe, sondern auch als ein malender Virtuose.
Die fabelhaften Wesen des Walter Bosse finden in Kitzbühel der dreißiger Jahre viele Freunde und Liebhaber. Es sind vor allem auch Touristen aus Amerika und England, die sich für die Keramiken begeistern und diese in die weite Welt als kunstvolle Souvenirs ausführen. Es sind dann die aufkommenden historischen Krisen- und Umbruchszeiten, schließlich die barbarische Nazi-Diktatur, die Bosses Kufsteiner Keramikproduktion zum Erliegen bringen. Nie wieder danach werden seine Figuren die gleichen wesenhaften Züge tragen. Das ihnen bis in diese Zeit innewohnende Lächeln scheint unwiederbringlich verloren, es scheint, als hätten diese ihre kindliche Unschuld verloren. Alle seine Schöpfungen werden bis zu seinem Tod 1979 zahlreiche Variationen erfahren, vor allen Dingen auch in metallischer Form. Aber die Zeit der frühen, so zauberhaften und so anrührend schönen und empfindsamen keramischen Ausführungen, die man einfach nur lieb haben kann, war vorbei.
Wenn man heute gesteht, dass man ein Fan von Walter Bosse ist, ja mehr noch ein großer Liebhaber, dass man seine Entwürfe sogar von Zeit zu Zeit erwirbt, weil einem jede neue Figur tagtäglich aufs Neue ein wunderbares Lächeln entlockt, einem augenblicklich das Gemüt aufheitern kann, dann stößt man im Allgemeinen auf Unverständnis. Dann ist allzu leichtfertig die abschätzige Rede von Kitsch, von Kunstgewerbe oder von Volkskunst, als könnten nicht genau auch diese Kategorien ästhetische Erscheinungen von größter Schönheit hervorbringen. Aber die Vorstellung von Schönheit wie auch die von Liebe ist ein tückisches Ding, weil beide sich nicht vollständig objektivieren lassen. Über Schönheit kann man nicht reden, heißt es zuweilen, man muss sie erfahren und empfinden. Es ist so gesehen auch der subjektive Anteil an Bosses frühen Figuren, die ihn als einen großartigen Künstler ausweisen, der – so könnte man sagen – die Schönheit vom Himmel auf die Erde geholt hat. Aber man sollte sich nicht durch all zu viele Nachschöpfungen und Fälschungen täuschen lassen, die allerorts nur vorgeben, von des Meisters Hand zu sein.
Udo Kittelmann, Berlin, July 2020
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Brutto Gusto
Torstraße 175
10115 Berlin
Deutschland - Eröffnung: 10. 09. 2020, 15–21 Uhr
Offener Sonntag: 13. 09., 12–17 Uhr - Link