Arnold Annen und Violette Fassbaender bei Marianne Heller

Translucence and Solidity – einzigartige Keramikkunst zu Gast in Heidelberg.

Zum zweiten Mal seit 2014 ist Arnold Annen, geboren 1952, Gast in der Galerie Marianne Heller, dieses Mal begleitet von Violette Fassbaender, Jahrgang 1958, Lebens- und Werkstattgefährtin. Auf den ersten Blick nimmt der Betrachter der Werke der beiden Schweizer Künstler vor allem ihre Unterschiede wahr: hier Arnold Annens durchscheinend dünnwandige, scheinbar schwebende weiße Schalen und Objekte aus Porzellan, dort Violette Fassbaenders spannungsvolle, in sich geschlossene, aus Porzellan und Steinzeug gebaute Körper. Bei näherer und wiederholter Betrachtung jedoch wird ihre Verwandtschaft spürbar. Beide Künstler präsentieren uns Findlinge aus dem Reich des Unsichtbaren, scheinbar nur aus Licht bestehende Membranen hochgebrannten harten Porzellans, Einzellern ähnelnde, an unsere ozeanische Herkunft erinnernde Skulpturen, aus Matterhörnern und Moränenlandschaften der Imagination komponierte Relikte der Erdgeschichte: vollkommenes, ingeniöses Handwerk im Dienst großer Kunst.

Violette Fassbaender, Art Aurea

Violette Fassbaender kam mit der Keramikkunst erstmals in Japan in Berührung.
Hier die Künstlerin in ihrer Werkstatt in Basel.

Violette Fassbaender, Art Aurea

Violette Fassbaender, Ausblühung. Keramikobjekte, die an Relikte der Erdgeschichte erinnern.

Violette Fassbaender, Art Aurea

Violette Fassbaender, Drift. Kraftvolle Formen und sensibel gestaltete Oberflächen.

Sie entsteht in Violette Fassbaenders Basler Elternhaus in unmittelbarer Nähe zum historischen Stadtkern. Musik – die Eltern waren Berufsmusiker – Malerei, Architektur, Landschaften: die Bodensee-Landschaft, wo sie viele Ferien verbrachte, und natürlich die Alpen hinterließen Prägungen, die in Fassbaenders Plastiken sichtbar werden. Entscheidend war jedoch das Erlebnis Japan, wo sie als Austauschpartnerin zum ersten Mal mit der Töpferei in Berührung kam und instinktiv wusste, dass sie das Thema ihres Lebens gefunden hatte. Acht Jahre blieb sie im Land, wo sie das Handwerk von der Pike auf lernte, zunächst am renommierten Tekisui-Institut in Ashiya, danach bis 1986 als Assistentin der Künstlerin Takako Araki. Ziel Violette Fassbaender war es dort, in der Tradition des Zen und dem Bestreben, im unmittelbaren geistigen Kontakt zwischen Lehrer und Schüler innere Ruhe, Furchtlosigkeit, Spontaneität, Demut und Harmonie von Seele und Körper zu erlangen.

Von allen diesen Eigenschaften strahlen die ausgestellten Objekte etwas aus. Sie sind aus Porzellan und Manganton gebaut sowie unglasiert in reduzierender Atmosphäre bei 1260° C gebrannt. Die nur scheinbar schwergewichtigen Körper sind hohl und halten selbst auf unebenem Grund ihr Gleichgewicht mit einer selbstverständlichen, aus amorphem ‚Fundament‘ in kristalline Höhe strebenden Expressivität.

Der 1952 in Gsteig, einem Dorf im Berner Oberland, als Sohn von Bergbauern geborene Arnold Annen, trat mit 17 eine Lehre in der Töpferei Saanen an. Nach einem Gesellenjahr bei Jean-Claude de Crousaz in Genf und drei Jahren Mitarbeit bei Pierre Mestre in La Borne begegnete er bei einem Studienaufenthalt in Sakakibara in Bizen (nicht ohne Impulse von Bernard Leach’s A Potter’s Book) Violette Fassbaender. Nach der völligen Aneignung und geistigen Durchdringung japanischer Ästhetik und Arbeitstechniken fand Annen in Amsterdam als Untermieter in Haus und Werkstatt der Keramikerin Barbara Nanning endlich Zeit, frei zu arbeiten und mit jenem Material zu experimentieren, das ihn schon lange interessiert und fasziniert hatte: Porzellan.

Arnold Annen, Art Aurea

Arnold Annen in der Werkstatt, Foto Lola Moser.

Seit 1989 in der gemeinsamen Werkstatt mit Violette Fassbaender entstehen die Gefäße und Plastiken, für die Arnold Annen berühmt ist. Die flüssige Porzellanmasse wird in eine parabolische Gipsform gegossen, in der sie für ein bis zwei Minuten bleibt. Die aus der Form gestürzten, lederharten Schalen werden auf der Töpferscheibe zu Liniensegmenten abgedreht, mit Schlicker dekoriert, mit dem Gasbrenner erhitzt, um Fragmente von der Oberfläche abzusprengen. Das Ergebnis ist ein außerordentlich empfindliches Gebilde mit einer Wandstärke von zwei Millimetern, das im vom Meister selbst konstruierten, mit Erdgas befeuerten Ofen in reduzierender Atmosphäre auf 1330° C gebrannt wird. Die Objekte sind unglasiert und transluzent.

Die nüchterne Beschreibung eines handwerklichen, technischen Prozesses lässt die Wirkung der fertigen ‚Bowls‘ nicht einmal erahnen. Sie haben die Farbe Weiß, die Summe aller Farben, ‚kommentieren‘ aber gleichsam alle die im Lauf eines Tages und einer Nacht geschehenden Veränderungen des Lichts, indem sie diese in unvergleichlichen Farbtönen erwidern. Doch sind sie nicht nur Medien der Lichtbrechung, sondern auch Klangkörper, Tonschalen, die Annen gerne mit der Hand zum Klingen bringt und vielleicht einmal einen zeitgenössischen Tonsetzer veranlassen möchten, eine ‚Harmonie‘ für Alphorn und Annen-Bowls zu komponieren.

Text: Dr. Joachim Utz

Arnold Annen, Art Aurea

Arnold Annen, Sinfonie. Transluzente Gefäße aus Porzellan mit einer Wandstärke von zwei Millimetern.

Arnold Annen, Art Aurea

Arnold Annen, Sethocapsa. Der Schweizer Keramikkünstler bezieht sich mit solchen Formen
auf gleichnamige Fossilienfunde.

  • Galerie Marianne Heller
    Friedrich-Ebert-Anlage 2 
    Am Stadtgarten 
    69117 Heidelberg 
    Deutschland
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