Seit langem ist Ulrike Isensee aus Hamburg für ihre fantasievollen, handgewebten Schals bekannt. Ihre neuen Raumteiler, Wandobjekte, Assemblagen und Gewebe sind ein textiler Annäherungsversuch an die Bauhaus-Weberei und eine Hommage an deren Frauen. Zum Hamburger Architektursommer 2019 nimmt Ulrike Isensee mit der Schaufenster-Ausstellung „Vernetzt“ teil. Über ihre Bauhaus-Hommage sprachen wir mit der Weberin.
Art Aurea Anlässlich des Gründungsjubiläums des Bauhauses vor 100 Jahren entstehen in Ihrer Werkstatt zur Zeit verschiedene Objekte als Hommage an die Bauhaus-Weberinnen. Wie kam es dazu?
Ulrike Isensee Am Bauhaus wurde die textile Flächengestaltung revolutioniert und nachhaltig modernisiert. Da den weiblichen Studierenden nach dem Grundstudium die Textilwerkstatt nahe gelegt wurde, gab es dort fast ausschließlich Frauen. Für mein Projekt habe ich mir vorgenommen, ausgewählte Arbeiten von Anni Albers, Gunta Stölzl, Ruth Holl und anderen
mit zeitgemäßen Techniken und Materialien neu zu interpretieren.
AA Sie studierten von 1973 bis 1979 in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste. Anschließend haben Sie das Handweben gelernt und nach der Gesellenprüfung auch die Meisterprüfung gemacht. Seit wann ist das Bauhaus ein Thema für Sie?
UI Schon seit Beginn meiner eigenen Webtätigkeit in den frühen 1980er Jahren. Eine strenge geometrische Formgebung ist prädestiniert für den Einsatz in gewebten Stoffen, da auch die Fadenverkreuzungen von Kette und Schuss im rechten Winkel zueinander verlaufen. Mit Hilfe der Intarsienweberei habe ich Schals mit eingewebter grafischer Flächenaufteilung geschaffen. In meinen neuen Assemblagen, Wandobjekten und Raumteilern finden sich Zitate der gestalterischen Grundlagen des Bauhauses. Dabei montiere ich geometrische Flächen aus unterschiedlichen Materialien auf ein feines Gitternetz.
AA In den 1950er Jahren gab Anni Albers ihre Tätigkeit als freischaffende Weberin auf und arbeitete fortan als Grafikerin und Designerin für Florence Knoll. Warum hat Sie das Design für die Industrie nie interessiert?
UI In den 1950er Jahren glaubte man noch sehr stark daran, dass die industrielle Produktion alle Bedürfnisse der Menschheit befriedigen könnte. Eine Rückkehr zur Handarbeit als selbstbestimmtes Lebensmodell und alternative Fertigungsmethode, wie wir sie heute in einigen Bereichen erleben, galt damals als überkommen.
AA Was interessiert Sie an Anni Albers, die ab 1931 als Nachfolgerin von Gunta Stölzl die Weberei am Bauhaus Dessau leitete, so besonders?
UI Das erste Projekt im Rahmen meiner Bauhaus-Hommage bezieht sich auf die Webarbeiten, die Anni Albers in Dessau selbst gefertigt hat und die sich stark an der strengen Formgebung des Bauhauses orientiert. Anni Albers Abschlussarbeit war ein Spannstoff aus Cellophan und Baumwolle für die Fenster einer Aula. Durch die innovative Kombination der Materialien war dieses Stück damals bahnbrechend. Mich faszinieren ihre webtechnischen Experimente mit Materialien, mit denen sie Neuland betrat.
AA Bislang sind Sie vor allem für Ihre hangewebten, phantasievollen Schals bekannt. Bei ihrer Hommage an die Bauhaus-Weberinnen geht es um Wandobjekte, d.h., um Raumwirkungen. Ist das nicht ein ganz neues Thema für Sie?
UI Neben meinen Schals befasse ich mich schon seit geraumer Zeit mit Wandobjekten und Raumteilern. Ich finde es spannend, meine künstlerischen Ideen auf einer größeren Fläche als textiles bildnerisches Werk zu realisieren, auch wenn ich damit den Bereich der angewandten Kunst verlasse. Es begann 2003 mit meinem Kimonoprojekt. Die klare Form des Kimonos diente mir dabei als Projektionsfläche für unterschiedliche textile Techniken. Auch der Recycling-Gedanke, die Wiederverwendung und Zweckentfremdung von gebrauchten Textilien begann mich zu beschäftigen. Von 2012 bis 2014 habe ich verschiedene Materialien, die als Träger von „Erinnerungen“ betrachtet werden können, in textile Flächen eingewebt und eingenäht. 2014 bin ich für meine Wandobjekte mit dem Lotte Hofmann-Gedächtnispreis für Textilkunst ausgezeichnet worden.
AA Sie haben 1983 ihr Atelier in Hamburg gegründet und seitdem kunsthandwerklich gearbeitet. Wie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Wertschätzung Ihrer Arbeiten und der Angewandten Kunst generell verändert?
UI Am Anfang war das Bewusstsein bei meinen KundInnnen sehr stark auf den handwerklichen Aspekt gerichtet. Selbstbestimmte, nicht entfremdete Arbeit übte damals eine starke Faszination aus. Einige Jahre später spielte es für die KundInnen immer weniger eine Rolle, ob das Stück handgearbeitet ist oder nicht. In erster Linie interessierte das Design und die Machart, nicht der Herstellungsprozess. Im heutigen digitalen Zeitalter bemerke ich eine Rückbesinnung auf die erhaltenswürdige Bedeutung handwerklicher Tätigkeit. Tradiertes, handwerkliches Wissen wie die Webtechnik, die Erfahrung und Geschick im Umgang mit dem Material voraussetzt, übt eine Faszination aus. Die Menschen entwickeln heute wieder verstärkt ein Bewusstsein für den Wert der Handwerkskultur.
Vernetzt — textiler Annäherungsversuch an die Bauhaus- Weberei. Eine Schaufensterausstellung im Rahmen des Hamburger Architektursommers 2019. Mehr über Ulrike Isensee mit Fotogalerie.
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