Zivilisation bedeutet immer auch Entfremdung vom Ursprünglichen. Man denke an die Professionalisierung der Produktion: Wo sich früher Amateure nach Lust und Laune ausleben konnten, haben Profis die Kontrolle an sich gerissen. Was nicht unbedingt schlecht ist, immerhin ist so ein rückenfreundlicher Bürostuhl – Resultat ausgiebigen Forschens und Herumprobierens, für das kaum ein Laie Zeit gehabt hätte – eine großartige Sache. Andererseits hat die Verdrängung in die Rolle des passiven Konsumenten, der sich mit der langweiligen Gleichförmigkeit und Unpersönlichkeit seriell gefertigter Güter abfinden soll, bei vielen Privatpersonen zu Unzufriedenheit geführt. Das Bedürfnis etwas zu schaffen ist und bleibt wohl eines der am stärksten im Menschen verwurzelten. Und wenn dem zu entsagen allein nicht schon quälend genug wäre, ist da noch die Entfremdung vom Haptischen, die im digitalen Zeitalter umso stärker ist, wo sich das alltägliche Tasterlebnis oft auf das Einhacken auf eine Computertastatur und einen warmen Kaffeebecher in der Hand beschränkt. Das Gefühl von Schleifpapier und Sägespänen zwischen den Fingern? Meist nicht mehr als eine entfernte Erinnerung an den Werkunterricht in der 3. Klasse.
Es juckt also nicht wenige Amateure in den Fingern, die aberkannte Macht über die Produktion der Kulturgüter und Dinge des Alltags (wenigstens teilweise) zurückzuerobern. Genau dies tut nun schon seit den 1970ern die Do-it-yourself-Bewegung (kurz DIY). Unschuldiges Heimwerken, das Organisieren von Punkkonzerten oder das Verlegen von Büchern in Eigenregie – DIY hat viele Formen. In den letzten Jahren haben mit Urban Gardening und Guerilla Knitting weitere Strömungen öffentliche Bekanntheit erlangt. Obwohl DIY, das im britischen Arts und Crafts Movement einen Vorläufer hatte, nie ganz verschwunden war, kam es in den letzten Jahren durch das Internet zu einer wahren Selbstmach-Renaissance: Noch nie war es einfacher, Bauanleitungen für Möbel und Einrichtungsgegenstände sowie Tipps rund ums Selbermachen auszutauschen.
Das Ergebnis sind Stühle, Tische oder Schränke, deren ästhetische Wirkung in großem Maße aus ihrer Einfachheit resultiert. Dass dies wiederum auf Designer einen Reiz ausübt, zeigt das Museum für Gestaltung in Zürich in einer Ausstellung. Ab dem 20. März wird im Rahmen von Do it Yourself Design im neuen Standort Schaudepot veranschaulicht, dass sowohl früheres als auch zeitgenössisches Design vom DIY-Gedanken inspiriert ist. Susi und Ueli Berger haben bis zum Tod Ueli Bergers im Jahr 2008 vierzig Jahre lang gemeinsam Möbel an der Schnittstelle zwischen Kunst und Design entworfen. Viele der seit 1960 von Ihnen konzipierten Arbeiten, so auch ihre Skulptur Schubladenstapel, die aus sieben unterschiedlich großen Schubladen in unterschiedlichen Ausrichtungen besteht, sind heute beliebte und teure Design-Klassiker. Ihr Soft Chair von 1967 ist sogar in die Sammlung des MoMa in New York aufgenommen worden. Bei ihrem 5-Minuten-Stuhl handelt es sich um einen Gartenstuhl aus geschweißtem Drahtgitter, wie es für Kaninchen- oder Hühnerställe verwendet wird. Gezeigt werden auch die Arbeiten des Schweizer Design-Duos Kueng Caputo, deren puristische Entwürfe zum Nachbauen einladen. La lampada a stelo ist eine Antwort von Sarah Kueng und Lovis Caputo auf ein von Enzo Mari in den 1970ern ins Leben gerufenes Projekt. Damals veröffentlichte der italienische Designer in seinem Buch Autoprogettazione? (auf Deutsch in etwa: selbst gemacht) 19 Möbelentwürfe zum Selbstbauen und sprengte etablierte Vorstellungen von Design. In einem Projekt des Berliner Vereins Cucula werden diese Design-Entwürfe nun auch von Flüchtlingen nachgebaut. Martino Gamper erlangte 2007 internationale Bekanntheit durch seine Arbeit 100 Chairs in 100 Days and its 100 Ways. Hierbei kombinierte er aus 100 auf den Sperrmüll geworfenen Sitzmöbeln ganz neue Stühle. In London, auf der Triennale in Mailand und in San Francisco, Kalifornien war die Arbeit zu sehen. In Zürich wird sein Remake aus drei Stühlen von 2008 zu sehen sein.
Die Ausstellung nimmt auch die Kerngedanken hinter DIY – die Dezentralisierung und Demokratisierung der Warenproduktion oder die Kritik an Massenkonsum und mangelnder Nachhaltigkeit der Produkte – unter die Lupe. Im Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung von den Befreiungsversuchen der Klassischen Moderne über die Gegenkultur der 1960er- und 1970er-Jahre bis zum heutigen Massenphänomen wird eine Einschätzung des aktuellen Eigenbau-Hypes versucht. Es werden auch Fragen beantwortet, welche die sogenannte Prosumer-Kultur aufwirft, in der Produktion und Konsum fusionieren. Welcher Lebensstil wird durch selbstgebaute Möbel vermittelt? Welche Referenzen und Quellen werden dabei herangezogen? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Art, Möbel zu entwerfen und herzustellen? Eine Werkstatt ermöglicht es den Besuchern, das Gestalten vor Ort zu erproben und mit ihren gebauten Objekten selbst etwas zur Ausstellung beizutragen. So können in Workshops eigene Postkarten mit Hilfe eines übergroßen grafischen Baukastens erstellt werden.
Ob das Selbstbauen, Modifizieren und Personalisieren von Möbeln und Designobjekten eine echte Alternative zu Massenkonsum und wenig nachhaltigen Produkte bietet, wie das Museum behauptet, bleibt abzuwarten. Immerhin erfordert ein Lebensstil im Zeichen der Selbstgenügsamkeit viel Zeit und Energie. Wer die hat, kann hier mit der Grundlagenforschung beginnen.
Mit Lisa Anne Auerbach, Stephane Barbier Bouvet, Susi und Ueli Berger, Samuel N. Bernier, Andreas Bhend, breadedEscalope, Lovis Caputo, Norman Cherner, Paola De Francesco, Droog design, Yves Ebnöther, Andreas Feldinger, Martino Gamper, Jochen Gros, James Hennessey, Christian Horisberger, ifixit.com, Ken Isaacs, Ronen Kadushin, Ferdinand Kramer, Sarah Kueng, Johannes Kunz, Van Bo Le-Mentzel, Gillis Lundgren, Enzo Mari, Dragana und Zoran Minic, mischer’traxler, Platform21, Victor Papanek, Christian Pfeifer, Peter Raacke, Raumlaborberlin, Recession Design, Emanuele Ricci, Gerrit Rietveld, Jerszy Seymour, Joao Silva, Nicola Stäubli, Sibylle Stoeckli, Studiomama, studio Nocc, Vincent Tarisien, Team Ingo Maurer, Alex Valder
Text Agata Waleczek
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Museum für Gestaltung – Schaudepot
Toni-Areal
Pfingstweidstrasse 96
8005 Zürich
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