Andrea Röthlin

Malen mit Gold

Bei ihrem bislang größten Werk hat Andrea Röthlin zwei Metalle zusammengebracht, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Blattgold und einen plumpen, leicht nach innen gewölbten Stahlrohling. Der ausgediente Boden eines Öltanks mit einem Durchmesser von knapp 170 cm wiegt nicht weniger als eine halbe Tonne.

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Andrea Rötlins Atelier in Kerns nahe des Vierwaldstättersees

Die Künstlerin hatte ihn hinter einem Stall im Kanton Obwalden ausfindig gemacht und mit Hilfe eines Krans direkt in eine Galerie am nahen Sarnersee transportieren lassen. Sarnen war Schauplatz einer Ausstellung und zugleich der Ort, an dem die Transformation von einem gewöhnlichen, industriellen Gebilde in ein Kunstwerk stattfand.

Blatt um Blatt hauchdünnen Goldes, acht mal acht cm groß, löste Andrea Röthlin sachte aus der Verpackung und legte eines nach dem anderen auf die Stahlschale, bis diese ganz bedeckt war. Dabei pinselte sie die überhängenden Goldrändchen nicht wie üblich weg, um die Fläche „sauber“ zu vergolden, sondern ließ diese bewusst stehen und evozierte damit einen bezaubernden Effekt: Die aufragenden „Reste“ bewegen sich beim geringsten Luftzug im Raum hin und her, beginnen träumerisch zu tanzen und zu glitzern. „Mir scheint, dass goldene Lava aus den Sachsler Bergen getreten ist und einen Bergsee geboren hat, der sich unter der warmen Hand des Föhns kräuselt“, meinte der Laudator bei der Ausstellung 2012.

 

Inzwischen liegt das Blattgoldobjekt nicht mehr am Boden wie damals in der Galerie, sondern hängt im Eingangsbereich eines Metallbaubetriebs in Sarnen. Andrea Röthlin erläutert: „Die zarten Blattränder hatten während der Ausstellung und durch den Transport hierher gelitten und fielen teilweise ab. Deswegen habe ich mich mit dem Käufer geeinigt, die Schale in derselben Weiseneu zu vergolden.“ Die vorstehenden Ränder geraten tüchtig in Bewegung, wenn jemand durch die Türe daneben schreitet. Auch an diesem Ort werden sie wohl nicht bis in alle Ewigkeit halten, das ist der Künstlerin genau so klar wie dem Besitzer des Werks. „Aber es ist ja nicht zuletzt die Veränderung, die Vergänglichkeit, die diese Arbeit ausmacht“, gibt die Innerschweizerin zu bedenken.

Fast so gegensätzlich wie roher Stahl und edles Gold erscheint die Umgebung, in der Andrea Röthlin wohnt und arbeitet. Oberhalb von Sarnen, ein paar steile Kurven über ihrem Heimatdorf Kerns, hat sie vor wenigen Wochen mit ihrem Mann, einem Naturheilarzt, ein avantgardistisches Haus aus Holz und Beton bezogen. Rundherum streichen Katzen und gackern Hühner. Böse Zungen könnten behaupten: ein Fremdkörper in diesem Bauernweiler. Doch: „Wenn schon etwas Neues, dann etwas richtig Modernes“, so Röthlin. Ihr ehemaliges Wohnhaus an derselben Stelle war 400 Jahre alt und nicht mehr zu retten. Im minimalistischen Interieur hat sich die Liebe zum Detail ausgebreitet. Unterschiedlich große gusseiserne und irdene Teekannen aus Japan, China, Taiwan und Korea stehen auf dem Fenstersims.Und ein kleiner, goldener Buddha.Die Bewohnerin nimmt ihn zur Hand und erklärt: „Mit solchen Figuren hat alles angefangen. Ich lebte vier Jahre in einem Meditationszentrum bei San Francisco, wo ich das Handwerk präzise gelernt und unzählige Buddhas vergoldet habe.“

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Goldschale Sarnersee, 2002. Tankboden mit Blattgold.

Andrea Röthlin, ursprünglich Kinderkrankenschwester, ist überzeugt: „Die Pflege und Betreuung zu früh geborener Kinder lehrte mich Behutsamkeit. Diese kleinen Wesen haben meine Sensibilität und Wahrnehmungsfähigkeit geschärft.“ In einer Gestaltungsschule in Luzern und in verschiedenen Ateliers eignete sie sich ihre künstlerischen Fertigkeiten an. Seit 1999 ist sie freischaffend tätig und befasst sich hauptsächlich mit Malerei. Ihre Tuschen auf gewölbten Keramikschalen aufgetragen, können als Planeten verstanden werden. Seit über zehn Jahren stellt die 46-jährige regelmäßig aus, mehrfach wurden Werke vom Kanton Obwalden angekauft.

Das Atelier von Andrea Röthlin ist in dem neuen Wohnhaus integriert. Sie ist begeistert vom dunkel gestrichenen Raum mit riesiger Fensterfront – gleichsam Höhle mit freier Sicht in die weite Landschaft. Das Applizieren von Gold, „in Erinnerung an meine Jahre in Amerika“, gehört hier drin wieder zum festen Bestandteil ihrer Kunst. „Gold zieht mich in Bann. Gold ist spannend: im Licht glänzend und leuchtend, im Schatten grau und matt.“

 

Text Eva Holz
Fotos Miriam Künzli
Andrea Röthlin’s Webseite

Erschienen in Art Aurea 1-2014