Vor vier Jahrzehnten studierte die 1957 in Den Haag geborene Barbara Nanning an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam im Bereich Keramik. Seitdem hat sie sich zu einem international angesehenen Künstlerin entwickelt, deren Werke in zahlreichen Museums- und Privatsammlungen im In- und Ausland vertreten sind. Bekannt wurde Nanning mit außergewöhnlichen Keramikobjekten und -installationen. Seit 25 Jahren widmet sie sich der Glaskunst.
Art Aurea Wie kam es, dass Du Dich vor 40 Jahren bei Deinem Kunststudium ganz auf Keramik konzentriert hast?
Barbara Nanning Als 10-jähriges Mädchen habe ich schon auf Kunsthandwerkermärkten kleine Formen auf der Scheibe gedreht. Ich wollte schon früh mit Ton und anderen Materialien arbeiten und schöne, ausgefallene Dinge herstellen.
AA Was war das für eine Zeit für die Keramik, damals während Deines Studiums in den 1980er Jahren in Amsterdam? Welche Erwartungen hast Du mit Deinem Studium an der Gerrit Rietveld Academie verbunden?
BN Ich studierte in einer Übergangsphase. Während das Geschirr fast ausschließlich in Porzellanfabriken hergestellt wurde, öffneten eine Reihe individueller Keramikstudios. An der Akademie lernte man, Geschirr von Hand zu drehen sowie in Gipsformen zu gießen. Man musste eine Abteilung wählen und es gab wenig bis gar keine Möglichkeit, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren oder diese zu kombinieren. Ich wollte zuerst die Techniken gut lernen, um später verschiedene Materialien kombinieren zu können.
AA Gab es Vorbilder für Dich und was wolltest Du anders machen?
BN Ich wollte keine funktionalen Konsumgüter machen wie es unser damaliger Lehrplan vorsah. Mein Vorbild war der niederländische Künstler Harm Kamerlingh Onnes (1893–1985). Er machte Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen, Ölgemälde und Keramik und ist bekannt für seine kleinen, humorvollen Charakterskizzen des Alltags in Form von bemalten Fliesen, Tier- und Menschenfiguren. Das narrative Element seiner Arbeit hat mich angesprochen, aber ich wollte meine Geschichten in räumlichen Formen und Plastiken visualisieren. Ein „Augenöffner“ war für mich auch die sogenannte West Coast Ceramics (1956–1986) in den USA – die Bewegung vom ‚Designer-Handwerker‘ zum ‚Künstler-Handwerker‘.
AA Nach einer Einladung des Nationalen Glasmuseums und der Royal Leerdam Glass Factory im Jahr 1994 hast Du erstmals mit Glas gearbeitet.
BN Während ich meine großen Projekte für den öffentlichen Raum realisierte habe ich die Kraft und Energie von hervorragenden Handwerkern kennengelernt. Dank des exzellenten Wissens und der Handwerkskunst des Glasbläsermeisters Henk Verwey und des Schleifmeisters Eddie Bek von Royal Leerdam erreichten die Objekte sofort ein hohes Niveau.
AA Inzwischen arbeitest Du seit 25 Jahren mit Glas. Viele Objekten und Installationen erscheinen wie „spontan gewachsen“ und erinnern an organische Formen. Woher kommt Deine Neigung zum Organischen? Und was möchtest Du damit – abgesehen von der interessanten Form – ausdrücken?
BN Es geht mir darum, das Wachstum und die endlose Bewegung des Lebens auszudrücken. Dabei gehe ich immer vom Kreis als Urform aus. Die Bewegung kommt vom Ruhepunkt in der Mitte. Die organische und anorganische Natur ist meine ständige Inspirationsquelle. Ich untersuche Kristalle, Quallen, Blumen und Mikroorganismen mit einer Beigeisterung, wie man sie aus dem 19. Jahrhundert für Form, Struktur und Geometrie kennt. In meinen Arbeiten versuche ich, Tradition mit Innovation, östlichen Reichtum mit niederländischer Sparmaßnahme, Freiheit mit Struktur und Vernunft mit Gefühl zu verbinden. Dabei verschmelzen sorgfältig ausgewählte und manchmal scheinbar widersprüchliche Elemente die am Ende so offensichtlich erscheinen, dass niemand von den ungewöhnlichen „Zutaten“ überrascht ist.
AA Im deutschen Sprachraum werden Kunstobjekte aus Keramik oder Glas zumeist als Kunsthandwerk oder Angewandte Kunst betrachtet. Wie urteilt man darüber in den Niederlanden und wie gehst Du heute damit um?
BN In den Niederlanden fallen Arbeiten aus Keramik und Glas häufig unter den Begriff „Free Design“. Das ist keine Kunst und kein Design. Meiner Meinung nach gibt es oft einen Unterschied im Ausgangspunkt von ‚Künstlern‘ und ‚Freien Designern‘. Für Künstler ist die Idee, das Konzept, das Wichtigste. Er wählt das Material, das für die jeweilige Idee am besten geeignet erscheint. „Freie Designer“ bevorzugen ein bestimmtes Material und denken oft von ihrem Material aus.
AA Deine Glasobjekte und -skulpturen entstehen in Zusammenarbeit mit tschechischen Glasbläsern. Wie läuft dieser Prozess ab?
BN Lange vor der eigentlichen Realisierung diskutiere ich ausführlich meine Ideen und Skizzen mit den Glasbläsern, cuttern und Assistenten. Am Tag zuvor gehen wir den Plan noch einmal durch. Während der Zusammenarbeit empfinde ich die Glasbläser, -cutter und Assistenten als Erweiterung des Gestalters.
AA Vom 31. August 2019 bis 1. März 2020 wurdest Du vom Kunstmuseum Den Haag mit einer Retrospektive geehrt. Was hat das für Dich bedeutet und wie waren die Reaktionen?
BN Ich wurde in Den Haag geboren. Die Retrospektive von 40 Jahren Arbeit im wunderschönen architektonischen Kunstmuseum Den Haag (Architekt Hendrik Petrus Berlage in enger Zusammenarbeit mit Van Gelder) war ein lang gehegter Wunsch von mir. Die Ausstellung hat international viel Aufmerksamkeit erhalten und das Kunstmuseum sagte, dass eine Ausstellung noch nie so oft fotografiert wurde. Diese Ausstellung und das gleichzeitig veröffentlichte Buch Barbara Nanning – Eternal Movement waren ein Geschenk, das sich als krönender Abschluss meiner harten Arbeit anfühlte.
Zur Retrospektive „Barbara Nanning – Eternal Movement. Ceramics, Installations and Glass Art” im Kunstmuseum Den Haag vom 31. August 2019 bis 1. März 2020 erschien eine Künstlermonographie. Das 144 seitige Werk mit Hardcover ist für € 25,00 (ISBN 978 94 6262 256 2) erhältlich.