Immer mehr Menschen, vor allem Jüngere, zieht es in die Großstädte. Kleinere Städte und der ländliche Raum verlieren an Attraktivität, werden vielerorts abgehängt. Der Einzelhandel schrumpft, Geschäfte und Kneipen schließen. Der boomende Onlinehandel forciert den Niedergang. Doch was können mittlere und kleine Städte dagegen tun? Am Beispiel der Alpenstadt Feldkirch in Vorarlberg zeigt sich, dass auch gestaltendes Handwerk, Design und Kunst Potentiale bieten, den Niedergang aufzuhalten.
Feldkirch in Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs, hat gut 33.000 Einwohner. 2007 wurde die ArtDesign, eine jährliche Verkaufsmesse für Kunsthandwerk und Designprodukte ins Leben gerufen. Doch dabei blieb es nicht. Denn in Feldkirch erkannt man, dass der gesamte Stadtraum ein Potential für Kunst, Handwerk und Design bietet. Seit einigen Jahren arbeitet das neu gegründete Potentiale-Büro für Stadtentwicklung ganzjährig an der Aktivierung des Stadtraums. Unter der Leitung von Maya Kleber wurde die Designmesse durch ein Festival erweitert. Das ganze erhielt den Namen Potentiale.
Auf der jüngsten Potentiale im Herbst 2018 waren 110 AusstellerInnen aus den Bereichen Handwerkskunst, Design und Fotografie vertreten. Ziel der interdisziplinären Verkaufsplattform ist es, den TeilnehmerInnen an unterschiedlichen Schauplätzen Vermarktungsmöglichkeiten sowie den Aufbau eines vielseitigen Netzwerks an Kontakten zu ermöglichen – und natürlich die Stadt attraktiver zu machen. Fragen an die Initiatorin und künstlerische Leiterin Maya Kleber.
Art Aurea Seit 2007 gibt es die ArtDesign Feldkirch als Messe für Design und Kunsthandwerk. Wie und warum kam es zur Erweiterung, die jetzt unter dem Namen Potentiale läuft und den gesamten Stadtraum einbezieht?
Maya Kleber Die Gründe dafür sind so vielseitig, wie einfach. Bereits vor der Benennung des Formats Potentiale, strahlte unsere Arbeit in den Stadtraum, z.B. mit dem Feldhotel 2013. Denn wir sind auf der einen Seite durch unsere Auftraggeberin, die Stadt Feldkirch, ganzjährig für die Aktivierung des Stadtraumes gefragt und auch uns ganz persönlich beschäftigt seit Jahren ein gelingender Transformationsprozess von einem reinen Messeformat zu einer Veranstaltung, die bewussten und wertschätzenden Konsum ebenso thematisiert, wie die Lust an guter Gestaltung zu wecken vermag. Mit dem Potentiale-Projektbüro werden Interventionen, interdisziplinäre Projekte und Nutzungsideen im und für den öffentlichen Raum unterstützt und Akteure zusammengebracht. Wo Bedarf besteht, werden Projekte initiiert und Impulse gesetzt. Verdichtet wird das Portfolio mit der Messe und dem Festival. Das ist ein Wochenende im Herbst rund um das Thema Gestaltung mit Schwerpunkt auf Design und Fotografie.
AA Die Potentiale 2018 liegt rund drei Monate zurück. Wie lautet Ihr Resümmee? Wie zufrieden waren die Teilnehmer und Aussteller? Wie hat das Publikum reagiert?
MK 100 Prozent der TeilnehmerInnen und AusstellerInnen fühlten sich bei der Potentiale 2018 im richtigen Umfeld präsentiert und 95% waren mit ihren Umsätzen zufrieden bzw. sehr zufrieden. Das ergab unsere Ausstellerbefragung im Nachgang der Veranstaltung. Ergo: Unserem Publikum ist zu danken, dass sie unsere AusstellerInnen und unser Programm schätzen, wahr- und annehmen. Unser Resümee ist dahingehend positiv, dass es uns motiviert, kritisch zu bleiben, das Unkonventionelle zu wagen und aus echten Beziehungen mit unseren Partnern und Ausstellern heraus zu lernen und in Bewegung zu bleiben.
AA Bei den Veranstaltungen, die die Potentiale-Messe ergänzen, geht es vor allem um Fotografie und Medienkunst. Welche Überlegungen stecken dahinter?
MK Die teilhabenden Sparten ergänzen sich im Rahmen der Potentiale und ermöglichen gleichwohl eine Spannkraft. Für die künstlerische Fotografie gab es in Vorarlberg vor Potentiale-Start keine größere Plattform. Diese und die Medienkunst für ein breites Publikum zugänglich zu machen und als Sparte zu etablieren, kann unserer Meinung nach neben der angewandten Kunst ideal funktionieren.
AA Was bedeutet die Kombination aus Festival und Publikumsmesse für die Stadt Feldkirch und die Region?
MK Wir beschäftigen uns tagtäglich mit der Entwicklung von Ideen für eine lebendige Stadt. Da gibt es Kunst und Kultur im öffentlichen Raum auf der einen Seite – und Leerflächen und Zwischennutzungskonzepte auf der anderen Seite. Feldkirch hat bereits 2015 mit dem Startschuss der Potentiale ein Art Projektbüro in diese Richtung implementiert. Nun haben auch andere Vorarlberger Städte Projektideen in diese Richtung kommuniziert.
AA Gegenwärtig leiden viele kleinere Städte und der ländliche Raum unter der Abwanderung in die großen Cities. Innenstädte verzeichnen zunehmend Leerstände. Dafür ist nicht zuletzt auch der Onlinehandel verantwortlich. Kann eine Veranstaltung wie die Potentiale dazu beitragen, diesen Trend abzumildern oder gar zu stoppen?
MK Ich persönlich bin kein Fan davon, die Politik, Institutionen oder Interessensgemeinschaften für einen Wandel in die Verantwortung zu nehmen. Die Potentiale möchte Bewusstsein, auch für die angesprochene Thematik, schaffen und ist ein Angebot. Ein Angebot sich mit der Stadt und damit mit sich selbst auseinanderzusetzen. Denn nur durch jede ganz individuelle Entwicklung kann etwas Größeres entstehen, wodurch ein positiver Wandel in Gang gesetzt wird.
AA Glauben Sie, dass sich Ihr Konzept auch auf andere Städte und Regionen in Europa übertragen lässt?
MK Auch wir haben nicht alles selbst erfunden, sondern über den Tellerrand geblickt und uns vielerorts inspiriert. Die Abstimmung und Gestaltung für das eigene Umfeld und für die dort herrschenden Bedürfnisse ist aber vermutlich der essentielle Kern zum Gelingen.
AA Was planen Sie für 2019?
MK Das Vortragsforum soll sich explizit mit den Materialien auseinandersetzen, die uns während des tagtäglichen Konsums begegnen. Worauf kann man achten? Was gibt es für alternative oder nachhaltige Ansätze mit den entsprechenden Materialien umzugehen? Möglicherweise wird es auch um eine Basis-Materialkunde gehen. Wie kann ich natürlich Materialien pflegen und bearbeiten? Denn auch dieses Wissen ist im Laufe der inflationären Nutzung, z.B. von Plastik, unserer Meinung nach verloren gegangen.
Kurzvita Maya Kleber
Jahrgang 1981, Mama von drei Kindern. Zehn Jahre bei der Blickfang GmbH in Stuttgart. Anschließend Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Vorarlberg. Dort drei Jahre Geschäftsführerin von netzwerkTanz, Verein für zeitgenössische Bewegungskunst sowie parallel fünf Jahre Leitung der ArtDesign Messe in Feldkirch. Initiatorin und heute künstlerische Leitung der POTENTIALe mit Messe & Festival.
Die Potentiale 2019 findet an 3 Tagen von Freitag, 08. November bis Sonntag, 10. November wieder in Feldkirch statt. Open Call: Bewerbungen sind jederzeit möglich. Weitere Informationen: www.potentiale.at
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