A Chair and You

Das GRASSI Museum für Angewandte Kunst zeigt eine der weltweit bedeutendsten Privatsammlungen von Stühlen.

Die in Leipzig gezeigten Stühle und Sitzobjekte wurden von über 100 Künstlerinnen und Designern sowie Architektinnen und Architekten von den 1960er Jahren bis heute gestaltet. Diese außergewöhnliche Schau ist einer der Höhepunkte im Jahr 2024, in dem das Museum sein 150jähriges Bestehen feiert.

Der Genfer Unternehmer und Sammler Thierry Barbier-Mueller, 1960–2023, trug seit den späten 1990er Jahren unzählige innovative und außergewöhnliche Stuhlobjekte zusammen, deren skulpturaler Charakter weit über die übliche Typologie von Stühlen hinausreicht. Die Präsentation der rund 140 Stühle wurde dem renommierten amerikanischen Regisseur und Künstler Robert Wilson anvertraut. In einer außergewöhnlichen Inszenierung lässt er die Besucher in immersive Welten eintauchen, in denen die Stühle zu Protagonisten einer Theateraufführung werden. 

Regisseur Robert Wilson inszeniert Stühle im GRASSI Museum Leipzig wie eine Oper in vier Akten. Hier der Kaleidoskop Space. © Lucie Jansch.

Im sogenannten Dark Room entfalten legendäre Designklassiker magisch beleuchtet ihre Aura. © Lucie Jansch.

Mit Ton, Licht und Gestaltungselementen, die an Bühnenbilder erinnern, wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, in der das ikonische Designobjekt Stuhl in seinen zahlreichen Variationen auf ungewohnte Weise entdeckt werden kann. Wilson hinterfragt die Objekte, macht sie sich zu eigen und haucht ihnen Leben ein, um sie selbst sprechen zu lassen. A Chair and You konfrontiert die Gäste mit einer „Oper“ in vier Akten und ebenso vielen Bühnenwelten – mit einer Szenografie, in der anhand der einzigartigen Sammlung von Thierry Barbier-Mueller auch die Geschichte der Kunst und des Designs von den 1960er Jahren bis heute erzählt wird.

Die Inszenierung entspricht einer Oper in vier Akten. Im Kaleidoscope Space bleibt der Raum geschlossen. Ein Würfel, dessen Inneres mit Spiegeln ausgekleidet ist, dient als Schatztruhe für die Exponate. Durch kreisförmige Öffnungen kann man die skulpturalen metallischen Eigenschaften der Stühle ausmachen, die mit der reflektierenden Umgebung geradezu verschmelzen. Das wechselnde Licht verstärkt den Kaleidoskop-Effekt.

Durch eine niedrige, von hinten beleuchtete Tür betreten die Gäste den düsteren, gedämpft wirkenden Dark Space. Als schwebten sie im Dunkeln, werden die Stühle nacheinander mit wechselndem Licht angestrahlt, was den Sitzmöbeln die Aura von Stars verleiht. Wie in einem Planetarium lenken Scheinwerfer unseren Blick auf die Exponate, die zu den markantesten Stühlen der Sammlung gehören. Ruhe, Minimalismus und Geometrie bestimmen den Medium Space. Die monochrome Landschaft wird durch gerade, klare Linien gegliedert. Inspiriert von der Formensprache in Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon aus dem Jahr 1929 wird die Architektur von semitransparenten Wänden strukturiert. Der offene und beruhigende Raum steht in Dialog mit den streng architektonischen Stühlen. Dem diffusen und gedämpften Licht entgegengesetzt ist eine metallische Klangumgebung.

Hier der Medium Space. Die Jubiläumsschau im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig widmet sich dem scheinbar unerschöpflichen Designthema Stuhl.  © Lucie Jansch.

Im Bright Space erschaffen Inseln aus einem engmaschigen Netz aus den buntesten und schrillsten Stühlen der Sammlung die Illusion, sich im Wald einer Fantasiewelt zu verirren. Knallige Farben, überraschende Stoffe und Kurven beherrschen den lichtdurchfluteten Raum. Die Stühle wurden intuitiv nach Verwandtschaft und zu Themen wie dem Animalischen, dem Dualen oder dem Skulpturalen, ihrem Popfaktor, ihrem Witz oder auch der technischen Raffinesse zusammengestellt.

Bright selection nannte Regisseur Robert Wilson diese originell arangierten Stuhlkreationen. © Lucie Jansch.

Die Sammlung Thierry Barbier-Mueller

Der Stuhl verkörpert eine spannende Schnittstelle zwischen Ästhethik und Nutzen, eine Form mit unendlichen Möglichkeiten. In den 1990er Jahren war Thierry Barbier-Mueller fasziniert von der Kreativität, der Frische und der großartigen Spontanität von Designern wie Ron Arad oder Tom Dixon. Durch zahlreiche Entdeckungen und Begegnungen erwarb er stetig neue Objekte, bis schließlich eine Sammlung mit mehr als 650 Stühlen aus der Zeit der 1960er Jahre bis heute entstanden ist. Die Sammlung, die etwa zu zwei Dritteln aus Einzelstücken, Prototypen oder Werken aus kleinen, limitierten Auflagen besteht, spiegelt dieses Interesse an atypischen Objekten abseits der üblichen Nischen des Industriedesigns wider. Barbier-Mueller verfolgte mit der Sammlung nicht das Ziel, einen wissenschaftlichen Korpus über die zeitgenössische Geschichte des Stuhls zu kompilieren, sondern war vielmehr daran interessiert, die Innovation und Kreativität in diesem Feld hervorzuheben. Es ist vor allem das Objekt an sich, das ihn gefesselt hat. Dessen Einzigartigkeit, die Plastizität, der Humor, der sich darin zeigt, die Materialität. Die Sammlung vereint Werke von international renommierten Kreativschaffenden ebenso wie weniger bekannte Positionen verschiedenster Nationalitäten. Sie umfasst Entwürfe von Designern wie Ettore Sottsass, Martino Gamper und Maarten Baas sowie von bildenden Kunstschaffenden wie Donald Judd, Niki de Saint Phalle, Lawrence Weiner und Franz West. Das Buch zur Sammlung ist im Museumsshop erhältlich: The Spirit of the Chair. The Chair Collection of Thierry Barbier-Mueller, Oktober 2022, Lars Mueller Publishers, 384 Seiten, 927 Abbildungen, 22 x 30 cm, englisch/französisch.

  • GRASSI Museum
    Johannisplatz 5-11
    04103 Leipzig
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