Simply Radical

Westliche Moderne sowie asiatische und orientalische Weltsicht. Keramiken von Margareta Daepp im Musée Ariana, Genf.

Die Ausstellung der 1959 in Bern geborenen Margareta Daepp im Musée Ariana zeigt Keramiken, die auf den ersten Blick nach reduziertem, funktionellem Produktdesign aussehen. In Wirklichkeit stellen viele der Werke jedoch Fragen, etwa nach der Form als Sinn- oder Gedächtnisträger oder als Träger ästhetischer Normen. Zudem verbindet die Schweizerin in ihren oft monochromen Kunstwerken orientalische und fernöstliche mit minimalistischen, westlichen Vorstellungen. „Ihr künstlerisches Universum ist geprägt von Stille, Strenge, Poesie, Farbe, Leere und Raum.“ Ihre Werke seien von beeindruckender Klarheit, lebendig, heiter und gelassen zugleich, das Ergebnis eines aufgeklärten und kompromisslosen künstlerischen Weges, heißt es aus Genf. 

Hexagon 1 Seto, 2013, aus der Serie Oribe, Holz und Urushi-Lack, 30,8 × 35,7 cm, H. 6 cm.
Hexagon 2 Seto, 2013, aus der Serie Oribe, Steinzeug, Oribe-Glasur 34,2 × 39,5 cm, H. 1,5 cm. Foto Dominique Uldry.

Margareta Daepp hat an der Schule für Gestaltung in Bern im Vorkurs (1976–77) schnell feststellte, „dass die dritte Dimension für sie entscheidend ist“, so Anne-Claire Schumacher, Chefkuratorin am Musée Ariana. Deshalb hat sie die Keramikfachklasse der Grafikfachklasse vorgezogen. Philippe Lambercy, 1919–2006, hatte als Leiter der keramischen Abteilung an der Ecole des Arts Décoratifs de Genève maßgeblich dazu beigetragen, traditionelle handwerkliche und industrielle Grenzen in der Keramik zu überwinden – und er weckte Margareta Daepps künstlerisches Interesse. Nach ihrem Diplom in Bern 1981 schrieb sie sich deshalb an der Ecole des Arts Décoratifs in Genf ein und traf dort auf die japanische Keramikkünstlerin Setsuko Nagasawa, geboren 1941 in Kyoto. „Alles ist hier anders: das Bearbeiten des Tones, der Blick auf das Material und der Umgang mit den Proportionsverhältnissen. Die junge Künstlerin ist fasziniert von Nagasawas direkter und frontaler Konfrontation mit dem Material sowie ihren reflektierten und präzisen Handgriffen, die keine Ausbesserungen erlauben.“ Margareta Daepp habe Keramik als lebendiges Material entdeckt, schreibt Schumacher. 

Pinkfarbene Blüte auf Quadrat, Bern, 2016, aus der Serie Poetisches Piktogramm. Porzellan, farbig, Emaille. Quadrat: 30 × 30 × 1 cm, Blume ø 19,5 cm, H. 7 cm. Sammlung der Künstlerin.
Foto Dominique Uldry.

Auf das Studium in Genf folgte ab 1984 die Praxis im eigenen Atelier in Bern. Doch 1989 begann Margareta Daepp ein weiteres Studium, diesmal an der Hochschule der Künste Berlin bei Rebecca Horn und Isa Genzken. Es folgte ein artist in residence-Stipendium des EKWC in ’s-Hertogenbosch und von 1994 bis 95 ein Aufenthalt in New York. Immer noch fasziniert von Japan reist Margareta Daepp zwischen 2005 und 2017 mehrmals nach Japan, dreimal als Artist in Residence sowie zu Ausstellungen nach Kyoto und Osaka. „Zu den prägendsten Erfahrungen gehört die Realisierung eines Brandes im Anagama-Ofen (liegender Ofen, mit direkter Flammeneinwirkung) und die Zusammenarbeit mit Lack-Spezialisten“, erklärt Anne-Claire Schumacher. So sehr Margareta Daepp von der japanischen Kultur auch fasziniert ist, so sehr achtet sie darauf, nicht der Faszination für ihre Vorbilder zu erliegen. Sie habe die Inspiration Japan in erster Linie genutzt, „um die Radikalität ihrer eigenen künstlerischen Aussage weiterzutreiben, ohne dabei die eigene Sprache zu verlieren.“ Der erste Ausstellungsraum im Musée Ariana ist den Japan-Arbeiten Margareta Daepps gewidmet. „Im zweiten Saal setzt sie sich im erweiterten Sinne mit dem Raum auseinander, erprobt unbekannte Wege und eröffnet neue Perspektiven.“

Archäologie der Zukunft, 1993, Terrakotta Prägung, 36 × 120 cm, H. 59 cm. Sammlung der Künstlerin. Foto Dominique Uldry.

In dem Essay „Sinn aufnehmen und Sinn transportieren – zur Gefäßkunst von Margareta Daepp“ schreibt Susanne Schneemann: „Die Ästhetik der Industrieform ist ein Phänomen jenseits von Nostalgie – ihre Aktualität befragt Margareta Daepp seit mehr als dreißig Jahren.“ Als erstes Beispiel dient der Kunsthistorikerin die 1993 entstandene Arbeit „Archäologie der Zukunft“, eine Reihe großer, in Ton abgeformter Kanister: „Die gebrannten und unglasierten Keramikgefäße mit ihrem riesigen Volumen haben eine Öffnung, haben einen Deckel – doch beides ist miteinander verklebt. Sie sind sperrig, sie scheinen funktionslos, sind sie auch sinnlos?“ Die Industrieform, die Margareta Daepp mit ihren Kanistern zitiere, lasse sich auf das zentrale designgeschichtliche Dogma „Form follows function“ reduzieren, oder mit einem aktuelleren „Form follows emotion“ ergänzen.

Ausstellungsansicht. Die formale Klarheit japanischer Architektur findet sich auch in den Gefäßen von Margareta Daepp. © Musée Ariana Geneve. Foto Boris Dunand.

  • Musée Ariana
    Avenue de la Paix 10
    1202 Genf – CH
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