Kunststoff

Vom Zauber eines Stoffes, der zum Problem wurde. Darum geht es in Ausgabe 52, der Sommerausgabe von Art Aurea – aber nicht nur.

Vieles, was uns die Moderne gebracht hat, ist Segen und Fluch zugleich. Dies gilt auch für Kunststoffe. Ihre technischen Eigenschaften wie Formbarkeit, Festigkeit oder billige Verarbeitung haben maßgebliche Entwicklungen in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft überhaupt erst möglich gemacht. Leider hat man die damit verbundenen Gefahren ignoriert. Leichtfertig und verschwenderisch eingesetzt, belasten Kunststoffabfälle nun unsere Böden, schwimmen in furchterregenden Mengen in Flüssen und Meeren und zerstören Leben, tierisches und am Ende wohl auch menschliches. Dem Reiz der Kunststoffe sind seit den 1960er Jahren auch viele Künstler erlegen. Zum Beispiel Niki de Saint Phalle bei der Gestaltung ihrer bunten Nanas oder in der Schmuckkunst Peter Chang, obwohl er für seine expressiven Armreife bereits gebrauchtes Plastik einschmolz und ihm ein zweites Leben verlieh. 

Der 2021 verstorbene Chang war einer der Künstler, mit denen Olga Zobel Biró 1992 die erste und weltweit einzige Galerie für Kunststoffschmuck in München eröffnete. Ihr Ziel war es, „den ästhetischen Aspekt des Materials, das unser Jahrhundert prägte, aufzuzeigen.“ Dabei waren Gijs Bakker und Paul Derrez aus Amsterdam, Thomas Gentile aus New York, Pavel Opocensky aus Prag und einige andere. Noch findet sich „Kunststoff“ im Namen der Galerie am Eingang, auch wenn er im Konzept und auf der Webseite längst durch „Autorenschmuck“ ersetzt wurde. Die ganze Geschichte von Olga und ihrer Tochter Kinga Zobel hat Julie Metzdorf verfasst. Ulrike Myrzik hat die Protagonistinnen der Schmuckkunst in ihrer Münchner Wohnung fotografiert.

Leidenschaftlicher Einsatz für internationale Schmuckkunst in München. Olga Zobel Biró und ihre Tochter Kinga Zobel. Foto Ulrike Myrzik.

Auch bei Jan-Hein van Melis denkt man unwillkürlich an Kunststoff. Denn die Farbe, um die sich sein gestalterisches Werk dreht, ist Orange, untrennbar verbunden mit dem plastikverliebten Space Age und Mid Century Design der 1960er und 70er Jahre. Doch bearbeitet der Niederländer in einer ehemaligen Gerberei in Rijen nahe Tilburg keinen Kunststoff, sondern feines Porzellan von Wedgwood und KPM, und zwar in einer Art und Weise, die Nostalgikern das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Der Beitrag von Piet de Jong mit Fotografien von Studio Goedewaagen.

In einer ehemaligen niederländischen Ledergerberei bemalt Jan-Hein van Melis heute feines Porzellan mit nostalgischen Motiven – alles in Orange. Foto Studio Goedewaagen.

Wer keine Gelegenheit hat, die viel gepriesene Ausstellung von Jan Vermeer in Amsterdam anzuschauen, dem sei die Fotokünstlerin Suzanne Jongmans empfohlen. Inspiriert von den großen Malern der Vergangenheit kreiert sie historische Kostüme und Szenen aus Materialien unserer Zeit – von gebrauchten Kleidern bis hin zu Abfällen und Kunststoffen. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie sich die Einstellung der Künstlerinnen und Künstler zu dem synthetischen Werkstoff verändert hat. Mit ihren atemberaubenden Porträts spricht Jongmans unsere Sehnsucht nach Schönheit und Idealisierung an, die es zu hinterfragen gilt. Gleichzeitig macht sie wie viele andere Künstler den gedankenlosen Konsum unserer Zeit und die Erzeugnisse unserer Wegwerfgesellschaft sichtbar.

Die Fotografien von Suzanne Jongmans gleichen den Gemälden alter niederländischer Maler. Owen the dialogue. Foto auf Hahnemühle-Papier, 75 x 95 cm, Auflage 8 + 2 AP.

Arts Crafts World diesmal ganz weiblich

Die Rubrik „Arts Crafts World“ dient dazu, in konzentrierter Form die Vielfalt aktueller, zeitgenössischer Arbeiten aufzuzeigen, die beispielhaft Kunst und Handwerk vereinen. Das Besondere dabei ist, dass die Künstler nicht von der Redaktion ausgewählt werden, sondern von Kuratoren und Kennern aus der ganzen Welt. 

Rita Trindade, Gründerin und Kuratorin von ThroughObjects aus Portugal, wählte Signe Emdal aus Dänemark aus. In ihren textilen Kunstwerken in zarten Farben und duftigen Formen begegnen sich Kulturen. 

Die dänische Textilkünstlerin Signe Emdal. Auf dem Webstuhl die Arbeit Palladio, die für die Homo-Faber-Ausstellung Crafting a More Human Future 2022 in Venedig entstand. Foto Kristine Fuch.

Nele van Wieringen, Keramikmuseum Westerwald, stellt Anne Mette Hjortshøj von der dänischen Ostseeinsel Bornholm vor. Mit großem Respekt für lokale Traditionen und Rohstoffe fertigt die Keramikerin brauchbares und zugleich formschönes Geschirr.

Die Galeristinnen Renate Slavik und Jutta Pietsch aus Wien blieben mit ihrer Auswahl in der österreichischen Hauptstadt und entschieden sich für Petra Zimmermann. Ihr Schmuck ist eine lustvolle Auseinandersetzung mit der Schmuckgeschichte und der Wiener Moderne.

Auch mal eine gute Kollegin vorstellen, dachte Marit Bindernagel, Silberschmiedin aus Hildesheim. In der Messerserie der Berlinerin Friederike Maltz aus Gewindestangen werde deren Kreativität und handwerkliche Meisterschaft aufs Schönste deutlich, sagt Bindernagel.

Florina Moser, Mitglied der Jury Teximus 4, erklärt: „Was auf den ersten Blick an eine Fotografie erinnert, stellt sich beim Betrachten als Tapisserie heraus.“ Aishan Turbayeva-Wiedenmeier, geboren in Kasachstan, erzählt Ihnen ihre packende Geschichte.

Ausstellungen, die Sichtweisen verändern und Preise, die glücklich machen

Neue Identität, neuer Name, ambitionierte Ziele. Mit der Ausstellung „Evolutions“ des Künstlerduos „ThinkingHead“ beginnt im Glasmuseum Ebeltoft in Dänemark eine neue Ära. www.glaskunst.dk

Glasobjekt aus der Installation Mycogenesis von Studio ThinkingHand. Fotos mit freundlicher Genehmigung von glas Museet for Glaskunst und Studio ThinkingHand.

Herbert-Hofmann-Preis 2023. Der renommierte Schmuckkunstpreis geht an Tamara Marbl Joka, Oslo, Jutta Kallfelz, Bad Münstereifel, sowie Neke Moa aus Neuseeland.

Keramikkünstleraustausch 2023. Die Stipendiaten in Neumünster widmen sich allesamt der freien Kunst. Besucher sind zum Dialog eingeladen. www.keramikkuenstlerhaus.de

Bayerische Staatspreise. Im Bereich Gestaltung wurden 2023 auf der IHM elf Preise für Gestaltung vergeben, sechs für Technik. 

Das imaginäre Haus. Eine Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, wie man sie sich öfter wünscht. Der Züricher Maler Uwe Wittwer, die japanische Keramikerin Aiko Watanabe und der Berner Schriftsteller Jürg Halter interpretieren den Kultfilm „Getsu monogatari – Erzählungen unter dem Regenmond“ von 1953 – jeder mit den Mitteln seiner Disziplin. www.gewerbemuseum.ch

Thomas Schütte Skulpturen. Wie es aussieht, wenn ein Großer der freien Kunst Keramik macht. Die Ausstellung in seiner Skulpturenhalle in Neuss/Holzheim zeigt es. www.thomas-schuette-stiftung.de

Wie gewohnt hat auch die Sommer-Ausgabe inklusive Umschlag 92 Seiten und ist erhältlich in führenden Galerien und Geschäften für 12 Euro (EU 14 euros). Bestellungen per Mail an artaurea@pressup.de. 

Besonders freuen wir uns über Ihr Abonnement, damit wir weiterhin die Einheit von Kunst und Handwerk feiern können: www.artaurea.de