JohnenPrivat – Sphären

Der Berliner Galerist und Sammler Jörg Johnen zeigt Ausschnitte der eigenen Sammlung.

Ohnehin ist es das vergnügliche Privileg eines erfolgreichen Galeristen zeitgenössischer Kunst, auszustellen was er mag. Läßt sich solches Vergnügen steigern? Durchaus – wenn man auch nach dem Rückzug vom aktiven Geschäft ganz unzeitgemäß leidenschaftlich der Kunst zugetan bleibt. Nachdem die Berliner Johnen-Galerie mit Esther Schippers Galerie fusionierte, nutzt Jörg Johnen seine vakant gewordenen Ausstellungsräume in der Marienstraße, um gänzlich losgelöst vom Markt assoziativ zu inszenieren, was über Jahrzehnte als persönliche Sammlung gewachsen ist: JohnenPrivat, geteilt in Room und Roof.

Ausstellungsansicht Sphären mit Arbeiten von Maria Bartuszová, Christian Kerez, Harald Klingelhöller und Beate Kuhn

Ausstellungsansicht Sphären mit Arbeiten von Maria Bartuszová, Christian Kerez, Harald Klingelhöller und Beate Kuhn (von links)

Unter dem Titel Sphären zeigt der von der Handelsfront retirierte Galerist im Room einen ersten schmalen Schnitt mit zwei Handvoll Arbeiten, die teils jahrelang im Lager verborgen waren, teils jüngst erworben sind. Der titelgebende Nenner der sparsam-schönen Schau – entliehen Peter Sloterdijks Sphären-Trilogie (Blasen/Globen/Schäume), inhaltlich angeregt aber auch durch Johnens Interesse an organisch-blubbernden Architektur-Utopien der frühen 1970er Jahre – versammelt obenhin Disparates. Rücksichtslos folgt der Liebhaber seinem immer schon undogmatischen Leitfaden, nur das auszustellen, was ihn berühre. Dass die Runde sich gleichwohl spielerisch zur Schlüssigkeit fügt, liegt an der gelungenen Präsentation des marktmüden Machers wie an dem prägnanten Potential des Ausstellungsmottos.

Harald Klingelhöller, Thomas Ruff und Mária Bartuszová

Unschwer lassen sich die verwandten Motive in den alle Genregrenzen überspringenden Arbeiten finden. Da lehnt in einem Eck des hohen Raumes eine frühe Arbeit Harald Klingelhöllers (*1954) mit dem hermetisch-ironischen Titel „Zur Besichtigung des Systems Rita“, ein übermannshohes Sphärengerüst, in sich geteilt und reflexiv gedoppelt, wie eine abgestellte Hilfskonstruktion zur umfassenden und also unmöglichen Erforschung eines zu beobachtenden Objektes. Eine großformatige Photographie Thomas Ruffs (*1958) aus der ab 2001 entstandenen Reihe der Substrate – extrem verfremdete Ausschnitte aus Manga-Comics – läßt psychedelisches Farbgewaber blasig pulsieren, seine Abkunft in Polychromie verkochend. Die slowakische Bildhauerin Mária Bartuszová (1936-1996) ist mit zweien ihrer biomorphen, aus geschnürten Ballonen gewonnenen Gipsgußarbeiten vertreten.

Beate Kuhn und Johannes Nagel

Viermal gar ist die deutsche Keramikerin Beate Kuhn (1927-2015) präsent mit organischen Plastiken aus rhythmisch montierten und glasierten Drehteilen, Fruchtkörpern oder niederem Tierreich nicht unähnlich. Mit den Arbeiten der Ausnahmekeramikerin offenbart Jörg Johnen ein weiteres Mal sein seit Jahren als Sammler gepflegtes Faible für Keramik, die in der aktuellen Kunst lediglich eine marginale Rolle spielt. Schubladendenken freilich ist dem Leidenschaftlichen fremd, betreut er doch den Nachlass Kuhns. Seine jüngste Entdeckung aus der ganz materialen Welt der Keramik ist der in Halle lebende Johannes Nagel (*1979). Dessen sandgegrabenen, ausgegossenen Porzellanarbeiten konterkarieren jedes kunsthandwerkliche Perfektionsstreben und ironisieren das keramische Ur-Thema Gefäß. Wie überdimensionale Modelle unterirdischer, vielgängiger Insektenbauten erstarren die Röhren-und Bulbenkörper zwischen ergrabener Form und zerfallender Amorphität.

Jörg Johnen, Werkgruppe Ballett von Beate Kuhn

Werkgruppe Ballett von Beate Kuhn

Raimer Jochims und Christian Kerez

Auch mit dem Maler Raimer Jochims (*1935) gibt Jörg Johnen einer weiteren seiner Vorlieben nach: Ungemein differenziert geschichtete Acryl-Malerei auf formgeschnittener Spanplatte zeigt Farbe als schier lebenden Organismus, je näher man hinschaut je mehr – auch wenn zunächst alles Schwarz erscheint. Den Bezug zur aktuellen Architekturszene stellt der Schweizer Architekt Christian Kerez (*1962) her: Das Modell seines Beitrags zur 2016er Biennale in Venedig ersetzt den geregelt konstruierten Raum des Abendlandes zugunsten eines komplexen, mathematisch nicht erfaßbaren Wolkengebildes – nicht ein rational hergestellter Raum mehr sondern ein geschehender, ein Incidental Room. Dass die ganze kleine Schau auf dem doppelten Galerieboden von Karin Sander (*1957) (Floor, 1991/2016, courtesy Galerie Esther Schipper) wie auf einem Sockelsockel sich abspielt, manipuliert den Status aller Besucher: Derart erhoben sehen die sich selbst in Elemente der Sphäre Kunst verwandelt. Wer nun noch ins aus Denkmalschutzgründen sehenswert roh belassene Roof steigt, findet zwischen Gebälk, ganz unsphärisch, ein weiteres Mal keramische Plastik: Auch das Werk Robert Sturms (1935-1994) ist Jörg Johnen eine Herzenssache – ihm hatte er eine der letzten Ausstellungen seiner Galerie gewidmet. Walter Lokau

Führungen: Samstags um 11.15–12.15 Uhr
Freier Eintritt, nur mit Anmeldung

JohnenPrivat
Marienstrasse 10, 10117 Berlin
info@JohnenPrivat.de
www.JohnenPrivat.de