Friedrich Kiesler: Architekt, Künstler, Visionär

Die Aufhebung der Grenze zwischen Kunst und Leben war das zentrale Anliegen des österreichisch-amerikanischen Universalkünstlers.

Ob Design, bildende Kunst, Architektur oder Film, Friedrich Kiesler gelang es mühelos für die Verwirklichung seiner Ideen zwischen den Disziplinen zu wechseln. Sein interdisziplinärer künstlerischer Ansatz, sein Konzept eines endlos fließenden Raumes, seine Raumskulpturen und seine ganzheitliche Designtheorie des Correalismus zählen zu den großen Visionen des 20. Jahrhunderts und sind bis heute aktuell.

Friedrich Kiesler, Raumbühne

Raumbühne, Mittlerer Saal (heute Mozartsaal) des Wiener Konzerthauses beim Auf- oder Abbau, Wien 1924. © Friedrich Kiesler Stiftung

Friedrich Kiesler mit seinem Modell für ein Endless House.

Friedrich Kiesler mit seinem Modell für ein Endless House, New York 1959. Foto: Irving Penn © The Irving Penn Foundation, Condé Nast Publications, Inc.

Die Karriere des 1890 in Chernowitz geborenen und 1965 in New York gestorbenen Friedrich Kiesler beginnt im Berliner Theater am Kurfürstendamm. Dort feiert er 1923 mit dem elektro-mechanischen Bühnenbild „Universal Robot“ den ersten großen Erfolg. Nur ein Jahr später sorgt die von ihm entwickelte „Raumbühne“ in Wien sowie das während der Pariser „Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ vorgestellte Modell einer frei schwebenden „Raumstadt“ für Furore. 1926 zieht er mit seiner Frau nach New York. Doch anstelle neuer avantgardistischer Projekte entwickelt er anfänglich Schaufenster, Geschäftslokale und ein neuartiges Filmtheater.

Friedrich Kiesler, Saks Fifth Avenue, Schaufenstergestaltung

Saks Fifth Avenue, Schaufenstergestaltung, New York 1928. Foto: unbekannt © Friedrich Kiesler Stiftung

Friedrich Kiesler, „Film Guild Cinema“, Ansicht der flexiblen Filmleinwand „Screen-o-scope“, New York, 1929

Film Guild Cinema, Ansicht der flexiblen Filmleinwand Screen-o-scope, New York, 1929. Foto: Ruth Bernhard, reproduced with permission of the Ruth Bernhard Archive, Princeton University Art Museum © Trustees of Princeton University

Friedrich Kieslers Ausstellungsgestaltung für Peggy Guggenheim

Peggy Guggenheims Art of This Century“, Einblick in die Abstract Gallery, New York 1942. Foto unbekannt © Friedrich Kiesler Stiftung

Ein Theater ohne Schauspieler

Neben Möbel- und Leuchtenentwürfen beginnt er in den 1930er Jahren wieder für das Theater zu arbeiten. Er entwickelt die Correalismus-Theorie, einen ganzheitlichen Designansatz, der auf wissenschaftlicher Analyse gründet und in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Vor allem im Theater ist es ihm möglich, visionäre Gestaltungsideen umzusetzen und in ein theatralisches Gesamtkunstwerk zu überführen. Inspiriert von flexiblen Architekturen des Alltags, schreibt er Manifeste gegen das starre Korsett traditioneller Bühnenkonzepte und plädiert für ein Theater, das die Idee des Räumlichen ins Zentrum stellt und experimentell erkundet. Doch führt Kiesler in der für ihn typischen Arbeitsweise seine Ideen über das Theater hinaus. Aus Bühnenrequisiten entwickelt er bewohnbare Skulpturen, aus dem „Endless-Theater“ die Idee des „Endless Home“, in dem die vorherrschenden Regeln rationaler Architekturprinzipien keine Gültigkeit haben. Das einzige von ihm errichtete Gebäude bleibt der Ausstellungsbau „Shrine of the Book“ in Jerusalem.

Friedrich Kiesler, The Universal

The Universal, Seitenansicht mit Blick auf den Eingang, Modell, New York 1962. Foto: unbekannt © Friedrich Kiesler Stiftung

Friedrich Kiesler, Studie eines Endless House

Studie für ein Endless House, New York 1959. © Friedrich Kiesler Stiftung

Friedrich Kiesler, Modell für ein Endless House

Modell für ein Endless House, Drahtgitterstruktur, New York 1959. Foto: unbekannt © Friedrich Kiesler Stiftung

Friedrich Kiesler und Armand Bartos, The Shrine of the Book

Friedrich Kiesler und Armand Bartos, The Shrine of the Book, Außenansicht mit Blick auf Basaltwand und Kuppel, Jerusalem 1965. Foto: Alfred Bernheim © The Israel Museum, Jerusalem

Unermüdlicher Netzwerker

»Der größte nicht-bauende Architekt seiner Zeit« (Philip Johnson) ist zeitlebens auch ein Künstler für Künstler, ein Netzwerker, der  unermüdlich neue Bekanntschaften knüpft: von De Stijl in Europa, über die Surrealisten im New Yorker Exil, die Abstrakten Expressionisten bis hin zu den Künstlern der Pop Art. Ob Theo van Doesburg, Marcel Duchamp, Max Ernst, John Cage oder  Andy Warhol – die Namen lesen sich wie das Who’s who der Kultur des 20. Jahrhunderts. Selbst sein Begräbnis im Dezember 1965 wird zu einem Kunstereignis mit einem Happening von Robert Rauschenberg.

Die erste umfassende Ausstellung in Berlin, dem Startpunkt seines Schaffens, liefert mit Modellen, Grafiken, Fotografien und Filmsequenzen ein ansprechendes Anschauungsmaterial, die gelungen den Reichtum des Kiesler’schen Gedankenkosmos darlegt.

  • Martin-Gropius-Bau
    Niederkirchnerstraße 7
    10963 Berlin
    Deutschland
  • Mittwoch bis Montag 10–19 Uhr
    Dienstag geschlossen
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