Windmühlen und Eichenlaub

Einst war Solingen für hochwertige Messer berühmt. Viele Hersteller sind verschwunden, nicht so die Windmühlenmesser-Manufactur.

Auf dem langgestreckten Tisch des Ausstellungsraumes und in den Regalen an der Wand liegen Messer in den verschiedensten Formen und Größen: Das legendäre Frühstücksmesser Buckels, das Vielzweckmesser Yatagan, in seiner geschwungenen Form an einen Sarazenensäbel erinnernd, das Parmesan- und Hartkäsemesser Parmoulin, das klassische kleine Gemüsemesser, das Obstmesser Mittelspitz, der Vogelschnabel und viele andere schneidige Koch- und Esswerkzeuge. Hinter all den klingenden Namen verbergen sich Traditionen und Geschichten – französische, orientalische, japanische und natürlich jene der Windmühlen- und Eichenlaubmesser in Solingen-Ohligs.

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Giselheid Herder-Scholz kennt sie alle. Die Regentin über das autonome Messerreich der Robert Herder GmbH & Co. KG ist aber nicht nur in der Historie firm. Sie kennt auch alle technischen Details der Messerkultur. Mit angenehm klarer Stimme erklärt sie den Unterschied zwischen einem komplett handgeschmiedeten Damastmesser und den Modellen aus vorgefertigten Rohlingen, in Japan Sekisouko genannt. Sie erzählt, wie sie den Messerschmied Tsukasa Hinoura in Sanjo/Niigata aufgesucht hat, um mit dem vielfach ausgezeichneten japanischen Meister eine Zusammenarbeit zu beginnen. Voller Respekt und mit detaillierter Sachkenntnis spricht sie über die kostbarsten Teile im Präsentationsraum, während sie diese fast andächtig einem Stoff-Etui entnimmt. Das vierteilige Besteck von Eichenlaub entstand in Zusammenarbeit mit dem japanischen Maki-e-Meister Hideo Takahashi. Maki-e bezeichnet die traditionelle Goldstreukunst, die als Dekor die japanische Lackkunst Urushi verfeinert. Die damit veredelten Holzgriffe machen das Besteck zu einem unverkäuflichen Unikat, das in der Sammlung der Manufactur einen Ehrenplatz einnimmt. Einen Ehrenplatz hat aber auch das sogenannte Ur-Zöppken. Das kleine Küchenmesser, bei Windmühlenmesser millionenfach gefertigt, wurde nach rund 60 Jahren Gebrauch in die Manufactur geschickt, um den Holzgriff ersetzen zu lassen. „Es war gar nicht so einfach, das Messerchen vom Besitzer für unsere Ausstellung zu bekommen“, berichtet die Firmenchefin. Erst im Tausch für ein neues habe er zugestimmt. Von der für die Windmühlenmesser typischen Carbonklinge ist beim Ur-Zöppken nur noch ein schmales gebogenes Streifchen übrig. So hat es drei Generationen in unermüdlicher Schärfe überdauert. Jetzt zeigt es in einer Vitrine, was ein echtes Messer im Solinger Dünnschliff aus Kohlenstoffstahl leisten kann.

Windmühlenmesser

Giselheid Herder-Scholz

Fast alle Geheimnisse dieser überragenden Qualität resultieren aus dem Wissen der rund 70 Mitarbeiter der Windmühlen-Manufactur, die sich über mehrere historische Fabrikgebäude mit ihren für die Gründerzeit typischen Backsteinmauern erstreckt. Bemerkenswert ist die Hochachtung, mit der Giselheid Herder-Scholz über ihre Handwerker spricht. Ihr Verdienst ist es auch, dass die alten Lehrberufe wie Reider, Ausmacher sowie die Schleifer und Pließter nicht längst der Vergangenheit angehören. Unvergessen ist der 2011 verstorbene Schleifermeister Fehrekampf, der noch im Rentenalter in die Manufactur kam, um dem Nachwuchs das Blaupließten, die höchste Stufe des Feinschliffs, beizubringen. Fehrekampf hat dazu beigetragen, dass man bei Windmühlenmesser auch weiterhin die hohe Kunst der blauen Messer pflegen kann.

Jedes Carbonmesser wird noch fast genauso hergestellt wie zu Zeiten des Urgroßvaters Robert Herder, der 1872 die Manufactur gegründet hat. Im Gegensatz zum heute überwiegend verwendeten Edelstahl, der etwa 14 % Chrom enthält, ist Carbonstahl nicht rostfrei. Er hat einem Anteil von zirka 0,8 % Kohlenstoff, ist deutlich härter und lässt sich besser schmieden. Die unvergleichliche Schärfe und Schnitthaltigkeit resultiert nicht zuletzt aus der deutlich dünneren Klinge, die mit einem flachen Schliffwinkel schlank und spitz auf die rasiermesserscharfe Schneide zuläuft. Messer, die vor allem bei Tisch verwendet werden, fertigt man aber auch in der Windmühlen-Manufactur aus Edelstahl. Doch war das Festhalten am Solinger Dünnschliff mit ein Grund, warum es die Windmühlenmesser im Gegensatz zu den meisten anderen Solinger Messerfirmen noch gibt. Aber es lag nicht allein an dieser Tradition, die der Vater von Giselheid Herder-Scholz bis zu seinem Tod 1992 gepflegt hat. „Ende der 1990er-Jahre haben wir überlegt, welcher Markt für unsere handwerklich orientierte Manufacturfertigung interessant sein könnte und so sind wir auf Japan gekommen“, sagt die Firmenchefin. Daraufhin reiste sie immer wieder persönlich nach Fernost, lernte Japanisch, knüpfte Kontakte zu Vertriebspartnern und nahm dabei Kontakt zu japanischen Messerschmieden und Künstlern auf. Heute ist Japan ein „Zugpferd“ als Absatzmarkt, der das Revival vieler Klassiker im Sortiment der Windmühlenmesser ermöglicht hat. Zum Beispiel für das Buckels, mit dem sich dank des Dünnschliffs ein Brötchen absolut „krumelklumpenfrei“ durchschneiden und anschließend so unnachahmlich mit Butter bestreichen lässt. Ein weiterer Schritt war die Übernahme der Marke Eichenlaub im Jahre 1998. Das Eichenlaub-Backenbesteck, das heute in den Werkstätten von Robert Herder gefertigt wird, existierte schon im 19. Jahrhundert. „Es war sehr anspruchsvoll, dieses historische Schmiedebesteck in seiner ei- genwilligen historischen Form komplett zu beherrschen. Aber jetzt haben wir alles im Griff“, sagt die Firmenchefin. Betrachtet man die blaugepließteten Klingen, die geradezu plastischen Metallformen mit den weich fließenden Griffen – es gibt sie in verschiedenen Holzarten, in weißem und schwarzem Acryl sowie Hirschhorn – kann man erahnen, was mit „sehr anspruchsvoll“ gemeint ist.

Unser Besuch bei Windmühlenmesser war ein Crashkurs in Sachen Messer- und Besteckkultur. Beim Rundgang durch die Manufactur, die aus der Zeit gefallen scheint, durften wir eintauchen in eine Atmosphäre, die es so nicht mehr oft gibt in unserer Welt des 21. Jahrhunderts. Wir haben gesehen, dass die Arbeit der Menschen dort hart und schmutzig ist. Doch war dabei immer wieder der Stolz und die Liebe zum Beruf zu spüren. Und wir haben im Gespräch mit Giselheid Herder-Scholz verstanden, dass nur durch solche Persönlichkeiten an der Spitze kostbare Traditionen zu retten sind.

Text Reinhold Ludwig

Photos Achim Hatzius