Bernard Heesen – Ein Element des Anarchischen

Den Niederländer inspirieren antike Lexika und Flohmarktfunde zu seiner expressiven Glaskunst. Interview Reinhold Ludwig, Photos Peter Cox.

Seit der Zeit von De Stijl und Bauhaus kultivieren viele niederländische Künstler und Designer reduzierte Formen. Bernard Heesens Werk bildet einen offensichtlichen Kontrapunkt zu dieser Art von Konstruktivismus. Die klare Form ist nicht das Ding des 1958 im niederländischen Leerdam geborenen Künstlers. Er gilt vielmehr als ein Anarchist in der Glaskunst. Mit der Kraft eines Titanen bearbeitet er in seiner Werkstatt de Oude Horn in Acquoy, nahe seiner Geburtsstadt, das heiße, zähflüssige Material. Angetrieben von unbändiger schöpferischer Neugier und voller Experimentierfreude kreiert er expressionistische Glasobjekte. Auf den ersten Blick scheinen sie lediglich einem Bedürfnis nach barocker Üppigkeit zu entsprechen. Doch auch wenn sich Bernard Heesen bei vielen seiner neueren Stücke von den Abbildungen in Enzyklopädien des 19. Jahrhunderts inspirieren lässt, gibt es da noch ein anderes Element.

Im Gegensatz zu den systematisch angeordneten Schnörkeln und Voluten der historischen Vorlagen finden sich in seinen Stücken lockere Spielfreude und Momente des Absurden oder Surrealen. Die spontane Lust am Experiment bewies der Glaskünstler auch, als er das Werk von Heer Jeekel (1839–1885) entdeckte. Der Glasfabrikant und Bürgermeister von Leerdam hatte eine frühe Form des industriellen Pressglases hergestellt. Ohne zu zögern griff der Glaskünstler die Technik auf. Dabei setzte er auch gebrauchtes Glas ein, das er auf Flohmärkten oder Dachböden fand, um es mit Silikonkleber in seine Stücke zu integrieren.

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Art Aurea Was war der erste Funke, der Ihr Interesse an Glas geweckt hat?

Bernard Heesen Anfänglich hatte ich keinerlei Interesse an Glas, obwohl mein Vater ein berühmter Glasdesigner in der Königlichen Glasmanufaktur zu Leerdam war. Während ich Architektur studierte, gründete mein Vater seine erste eigene Glasbläserwerkstatt, und dort sah ich zum allerersten Mal heißes Glas. Das seltsame Material faszinierte mich: heiß, flüssig und transparent, das exakte Gegenteil des kalten und starren Glases, das jeder kennt. Ohne eine Ausbildung zum Glasbläser zu machen, fing ich an, die Eigenschaften dieses fremdartigen Materials zu erforschen und wurde darin durch keinerlei Kenntnis der Glasbläsertechnik behindert. Ich war derart fasziniert, dass ich mich entschied, damit weiterzumachen. Der „offizielle“ Beginn meiner Laufbahn bestand darin, dass ich in den Vulkan Ätna hinabkletterte und Blasen aus heißer Lava blies. Nach Hause zurückgekehrt wurde mir bewusst, dass ein Glasschmelzofen geeigneter ist als ein Vulkan. Und bis heute erforsche ich die seltsamen Qualitäten von Glas.

AA Hatten Sie Vorbilder? Wenn ja, wer hat Sie am stärksten geprägt?

BH Kein Künstler oder Designer. Vielmehr war es der 80 Jahre alte niederländische Meister Jan Keuken, der sein ganzes Leben für die Glasfabrik Leerdam gearbeitet hat. Er lehrte mich, das Material zu verstehen.

AA Bei Ihren älteren Gefäßen lässt sich ein Bezug zur Malerei ausmachen. Wie sind Sie zu dieser interessanten Technik gekommen und warum haben Sie sie aufgegeben?

BH Ich betrachte ein Gefäß wie eine Leinwand, bestens geeignet für ein Gemälde mit Glas. Die Technik, die ich verwende, ist eine sehr einfache, deren Ergebnisse mich oftmals überraschen…

AA Wie sind Sie zu Ihren jüngsten barocken Formen gekommen, da es doch gerade in Ihrem Land eine so starke Tradition des Minimalismus gibt? Was hat Sie motiviert, Dinge zu schaffen, die scheinbar einer Zeit absolutistischer Herrscher in Europa angehören?

BH Nachdem ich Glas zehn Jahre lang erforscht hatte, geriet ich an einen toten Punkt. Ich wusste nicht mehr, was ich noch machen sollte. Doch mein lebenslanges Interesse an den Lexika des 19. Jahrhunderts hat mich gerettet. Plötzlich wurde mir klar, dass jene Enzyklopädien, die ich sammelte, voller wunderschöner Stiche in Schwarzweiß waren, die geradezu danach schrien, in Glas ausgeführt zu werden. Und dies umso mehr, da die meisten dieser Stiche aus dem späten 19. Jahrhundert stammten, der sogenannten „hässlichen Zeit“. Ich glaube, dass Glas das geeignetste Material zur Herstellung hässlicher Gegenstände ist. Anschließend konzentrierte ich mich auch auf die Artefakte, die 1851 in der Weltausstellung in London im Crystal Palace gezeigt wurden.

AA Was denken Sie über die Beziehung zwischen Kunst und Handwerk oder, genauer gesagt, zwischen Glasbläser und Bildhauer?

BH Diese Beziehung existiert für mich nicht: Ich bin ein Bildhauer in Glas, und man nennt mich einen Glasbläser.

AA Einige der jüngeren Glaskünstler, insbesondere in Europa, haben eine starke Neigung die Gefäßform hinter sich zu lassen und stattdessen skulpturale Objekte zu schaffen. Ist das wirklich ratsam?

BH Was macht es für einen Unterschied? Der Grund dafür liegt doch allein in ihrem Wunsch als Künstler angesehen zu werden. Gefässe können Perfektion erreichen.

AA Wie sehen Sie die gegenwärtige und zukünftige Situation von künstlerischen Glaskreationen? Hat die sogenannte Studio Glass Movement das Interesse hinreichend vieler junger Menschen gewonnen?

BH Die Studio Glass Movement ist vor langer Zeit gestorben. Es ist zu schwierig und zu teuer, die eigene Kunst im eigenen Atelier herzustellen.

AA In welchen Ländern gibt es für Sie gegenwärtig die spannendsten Entwicklungen in der Glaskunst? Und können Sie einige Namen nennen, die Sie als bedeutsam betrachten?

BH Sie können sich vielleicht schon denken, dass ich ganz und gar nicht an Glaskunst interessiert bin. Glaskunst ist langweilig mit Ausnahme einiger Kunst, die von großen Künstlern und Künstlerinnen geschaffen und von hervorragend ausgebildeten Glasbläsern ausgeführt ist.

Ausgewählte Arbeiten von Bernard Heesen finden Sie hier