Das Bild, das die Medien von unserem Nachbarkontinent zeichnen, könnte kaum stereotypischer sein: Unter der afrikanischen Sonne herrschten vor allem Korruption, Krieg und Hunger, sodass die meisten Afrikaner am liebsten sofort nach Europa übersiedeln würden, wenn sie könnten. Es ist nichts Neues, dass die Berichterstattung über die Länder der sogenannten Dritten Welt nicht nur recht eintönig ist, sondern auch von einem Negativismus gekennzeichnet, der uns eigentlich stutzen lassen sollte. Positives ist vor allem aus der Tourismusbranche zu hören, die Afrika (wohlgemerkt 54 Länder mit teils sehr unterschiedlichem kulturellem und geschichtlichem Hintergrund) gern als exotisches Abenteuerland mystifiziert. Dabei erfassen die westlichen Medien mit ihrer Inszenierung eines afrikanischen Dramas vor atemberaubender Landschaftskulisse längst nicht die Realität auf dem Kontinent.
Denn Afrika, unser aller Ursprungsort, ist im Wandel begriffen: Im Schatten der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China findet ein afrikanischer Aufschwung statt, viele Länder erleben ein rapides ökonomisches Wachstum und eine rasant expandierende Mittelschicht. Begleitet wird dies alles von revolutionären Veränderungen in der Kommunikation: Heute gibt mit 650 Millionen mehr registrierte Mobiltelefone in Afrika als in Europa oder in den USA. Viele der Geräte haben Internetzugang, was die Entwicklung urbaner Kulturen entscheidend beeinflusst. In Städten wie Johannesburg in Südafrika realisieren Künstler, Designer, Architekten und andere Kreative ihre Vision eines zeitgenössischen Afrika. Sie erschließen dabei neue Ästhetiken, ohne die reiche Tradition zu vergessen. Es ist also höchste Zeit für einen Perspektivwechsel in unseren eurozentrischen Köpfen. Diesen möchte nun eine genreübergreifende Ausstellung in Weil am Rhein anregen. Dort zeigt noch bis zum 13. September 2015 das Vitra Design Museum in Making Africa – A Continent of Contemporary Design Arbeiten von über 120 afrikanischen Künstlern und Designern. Kunstobjekte, Mode, Schmuck, Fotografien, Möbel, Renderings zukünftiger Architekturen – die bunte Mischung der Exponate vermittelt dem Besucher einen Eindruck davon, wie Design die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen des Kontinents begleitet und fördert.
Die futuristisch anmutenden Brillenskulpturen des kenianischen Künstlers Cyrus Kabiru laden gleich mehrfach zu einer neuen Sichtweise ein. Für den Träger halten die eher künstlerischen als funktionalen Stücke neue visuelle Eindrücke bereit, für den außenstehenden Betrachter ebenso. Darüber hinaus greift der Kenianer in den Arbeiten aus der C-Stunners-Serie eine Praxis auf, die in Afrika zum Alltag gehört: die direkte Wiederverwertung von Müll. In seinen Brillen verarbeitet er Weggeworfenes von Schrauben bis zu Kronenkorken zu Kunst.
Auch Gonçalo Mabunda recycelt, wobei die Ergebnisse als politischer Kommentar auf die Geschichte seines Heimatlandes gemeint sind: Seinen wenig einladenden Thron von 2012 hat der Künstler aus Mosambik aus zahlreichen Kalaschnikows konstruiert. Mit provokativen Sitzmöbeln aus Pistolen, Gewehren und anderen Waffen erinnert er an den Mosambikanischen Bürgerkrieg, der bis 1992 wütete und dessen Folgen das Leben der Einwohner bis heute bestimmen. Viele Distrikte des Landes sind immer noch mit Minen verseucht. Aus mit Schnur umwickeltem Armierungsstahl fertigt Cheick Diallo den Sessel Fauteil Sansa Bleu (2011). Hierfür arbeitet der malische Designer, der in Frankreich Architektur und Design studierte, mit afrikanischen Kunsthandwerkern zusammen. Einen Beitrag zur Schmuckkunst in der Ausstellung leisten Monteiro und Miswudé: Für ihre Waxology series von 2014 verarbeiteten sie traditionelle westafrikanische Baumwolltücher zu bunten Schmuckobjekten, die sie im Anschluss fotografierten.
Ergänzend werden in der Schau Dokumente aus dem postkolonialen Afrika der 60er Jahre ausgestellt. Die kulturhistorischen Rückblenden verdeutlichen: Schon früher zeigten Fotografen wie Seydou Keïta und Malick Sidibé oder das südafrikanische Magazin Drum einen Kontinent jenseits von Kriegen, Krisen und Katastrophen. Eine weitere Erkenntnis, die für den Besucher wohl überraschend sein mag: Design wird in Afrika viel umfassender verstanden als in westlichen Kulturkreisen. Wir sind gespannt, ob die Unvoreingenommenheit und Experimentierfreude afrikanischen Designs auch über die Landesgrenzen hinaus zukunftsweisende Gestaltungsansätze hervorbringt.
Parallel zu Making Africa findet im Vitra Design Museum noch bis zum 31. Mai eine Ausstellung über die Afrikanische Moderne statt. Architektur der Unabhängigkeit beleuchtet, wie viele zentral- und schwarzafrikanischen Länder nach ihrem Unabhängigwerden in den 60er Jahren in experimentellen und futuristisch anmutenden Architekturentwürfen versuchten, ihre nationale Identität zum Ausdruck zu bringen.
Text Agata Waleczek
Fotos Pressematerial
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Vitra Design Museum
Charles-Eames-Str. 2
79576 Weil am Rhein
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