Als das Porzellan aus dem Fernen Osten ins Abendland kam, verströmte es lange Zeit einen betörenden Zauber. Die Europäer lernten jene rein-weiß-wunderliche Materie im 14. Jahrhundert in Gestalt edler Gefäße kennen. Sie nannten den geheimnisvollen Stoff von unerklärlicher Härte, ritzbar allein dem Diamanten, in schierer Unkenntnis um seinen Ursprung, nach dem italienischen Namen der Kauri-Meeresschnecken porcellana. Meinte man doch, der hell klingende Scherben, je dünner, je durchscheinender, würde aus deren gemahlenen Gehäusen gewonnen.
Lange war Porzellan den Höfen in raren Exemplaren vorbehalten, eifersüchtig gehütet, gehortet in Wunderkammern. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Sachsen nacherfunden, blieb seine Rezeptur, basierend auf dem Mineral Kaolinit, als Monopol fürstlicher Porzellan-Manufakturen lange unter Verschluss. Natürlich gelangte das Betriebsgeheimnis irgendwann in Umlauf. Mit der Industrialisierung verkam das weiße Gold dann als gegossene Tischware zum billigen Fabrikprodukt — zumeist jedenfalls. Zeitgenössischen Studiokeramikern gelingt es immer noch, die verloren geglaubte Faszination aufleben zu lassen.
Jong-Min Lee verbindet künstlerischen Erfindungsreichtum mit einer handwerklichen Intensität, die mit der „Entdeckung der Langsamkeit“ nur unzureichend zu umschreiben ist. 1982 geboren, studierte er in England und an der renommierten Chung-Ang-University in Seoul. Nach der ersten Einzelausstellung 2011 präsentierte er im vergangenen Jahr seine Arbeiten auf der Leipziger Grassimesse. Sichtlich steht der Koreaner in der weit zurück reichenden Porzellan-Tradition seines Heimatlandes. Aufgewachsen ist er mit der Sammlung traditioneller koreanischer Malerei und Keramik seines Vaters. In seinem Studio nahe der Kleinstadt Anseong-Si ist von der Betriebsamkeit der nördlich gelegenen Hauptstadt Seoul nichts zu spüren. Es sind vor allem die feinlinigen Porzellangefäße der am Ende des 14. Jahrhunderts einsetzenden und 500 Jahre herrschenden Joseon-Dynastie mit ihren klassischen Formen, die Jong-Min Lee nachhaltig beeinflussten: Typisch etwa die vom breiten Fuß sich weitende, bauchige Vase mit kurzem hochgestelltem Rand oder die langhalsige, tropfenförmige Flasche. Traditionell wurden diese Formen gern mit kobaltblauen, kupferroten oder geschnittenen Dekoren und Motiven versehen und dünn, mitunter leicht bläulich, klar glasiert. Der Hof und die Eliten im Korea des 15. und 16. Jahrhunderts bevorzugten dann aber white ware, puristische Gefäße von schlichter Eleganz. Das Idealtypische dieser aus dem Vaterhause vertrauten, zugleich aber hoheitlich-distanzierten Formen von geradezu transzendentem Weiß — Symbol nicht einer leeren Absenz, sondern einer übervollen Potentialität — lässt Jong-Min Lee nicht mehr los.
Doch der Virtuose der Drehscheibe wiederholt nicht einfach die hergebrachten Formen. Bleibt der Ursprung wohl erkennbar, entstehen in Abwandlungen frei schwingende, oft wohlgerundete Volumina von absoluter Würde. Mehr noch: Indem der Keramiker die Öffnungen der alten Vorbilder auf ein Minimum verengt, verringert er die Nutzbarkeit der Gefäße, die ihrer Größe zum Trotz zumeist in dünnsten Röhrenhälschen enden. Bei manchen Zylindergefäßen ist die winzige Öffnung schalenartig eingesenkt. Paradox: Indem Jong-Min Lee auf der einen Seite fraglos die verbindliche Klassizität seiner Arbeiten herausstellt, verleiht er ihnen auf der anderen Seite durch die Minderung der Funktion ein Höchstmaß an ungebundener Autonomie. Ein weiteres kommt bestimmend hinzu: Die Oberflächen der Porzellane sind raffiniert reliefiert in einer fließend-bewegten, gleichwohl sehr präzise gezeichneten Unregelmäßigkeit. So, als hätte die Natur selbst feinstes Wellenspiel über sie gebreitet, sie in sachtes Zittern und Kräuseln versetzt oder ein kühles Lüftchen auf zarter Haut ein leises Schaudern verursacht.
Neben der koreanischen Tradition benennt Jong-Min Lee als zweite wichtige Anregung für seine Porzellankunst René Lalique. Die linear aufgelöste Pflanzen- und Tierornamentik des Pariser Schmuck- und Glaskünstlers des Art Nouveau habe ihn maßlos beeindruckt. Dass der Koreaner in dieser historischen Form der Angewandten Kunst, die uns heute eher manieristisch-artifiziell anmutet, ein Höchstmaß an Natürlichkeit findet, verwundert vielleicht. Sie mindert nicht die bewundernswert penible Umsetzung dieser Idee auf seinen Gefäßen. Nach dem Bisquitbrand ritzt der junge Koreaner hingebungsvoll, einem Ideal asiatischer Handwerkskunst entsprechend, mit Sticheln und Spitzen jene leicht vibrierenden all-over Strukturen in die Wandungen seiner Gefäße. Sie verwandeln diese Neuinterpretationen alter asiatischer Porzellankunst in zeitgenössische Preziosen. Eine transparente Glasur überzieht manches Gefäß schließlich glänzend. So weht sie einen wieder an, die Betörung durch den Zauberstoff Porzellan, in Gestalt souveräner, kunstvoller Gefäße, hinter deren Brillanz das arbeitsintensive Gemachtsein verschwindet. Was am Ende zählt, ist allein die Ästhetik — mag sie auch wundervoll west-östlich sein.
Von Walter Lokau
Jong Min-Lees Profil auf artaurea.com/de
Die Homepage des Keramikers
Erschienen in ART AUREA 2–2014