Im Jahr 1908 veröffentlichte Georg Simmel seine Psychologie des Schmuckes. Wie der große Berliner Philosoph das Egoistische und gleichzeitig Altruistische des Sich-Schmückens beschreibt, ist bis heute bestechend: „man schmückt sich für sich und kann das nur, indem man sich für andere schmückt“, so eine zentrale Aussage. Dabei ordnete Simmel verschiedene Arten von Schmuck in eine Skala, entsprechend der „Enge, mit welcher Schmuck der physischen Persönlichkeit verbunden ist“. Simmel sah in dieser Skala ganz unten den „engen Schmuck der Naturvölker – die Tätowierung“, ganz oben den Metall- und Steinschmuck und ganz an der Spitze den Diamanten. „Der Schmuck steigert oder erweitert den Eindruck der Persönlichkeit, indem er gleichsam als eine Ausstrahlung ihrer wirkt“, schreibt Simmel. Daher seien die glänzenden Metalle und die edlen Steine von jeher seine Substanz gewesen, seien im engeren Sinne „Schmuck“ als die Kleidung und die Haartracht, die doch auch „schmückten“. Auch wenn zeitgenössische Schmuckgestalter weit mehr Materialen einsetzen als „die glänzenden Metalle und edlen Steine“, entspricht Georg Simmels These bis heute der weltweiten Wertschätzung, die Diamantschmuck genießt.
Der Diamant – von den Griechen adamas (der Unbezwingbare) genannt – ist der härteste Stoff, den wir auf unserem Globus kennen. Und er ist, von einigen Farbstein-Raritäten abgesehen, auch der teuerste Edelstein. Die herkömmliche Krappenfassung hält den Stein in einem Schmuckstück sicher fest. Bei der sogenannten Zargenfassung wird der Diamant komplett von einem Metallring umschlossen. Damit wird aber auch die Lichteinstrahlung auf die seitlichen und unteren Facetten weitgehend verhindert. Ein so gefasster Diamant erscheint weniger brillant. Für Niessing Spannringe werden hauptsächlich Brillanten, d.h. rund geschliffene Diamanten mit 56 Facetten und Tafel verwendet. Sie werden nur an zwei winzigen Stellen in einer offenen Ringschiene gehalten. So kann der kostbare Edelstein seine volle Strahlkraft entfalten und ist gleichzeitig in reinster Form sinnlich erfahrbar.
Der Niessing Spannring® entstand Ende der 1970er Jahre unter der Leitung von Ursula Exner, der Enkelin des Niessing-Gründers. Erfinder ist der Bildhauer Walter Wittek, der 1979 in eine Skulptur aus Stahl eine Glasscheibe einsetzte, die nur durch die Spannung des Materials festgehalten wurde. Die Idee, statt der Glasscheibe einen Diamanten in einen offenen, geschmiedeten Ring wie frei schweben zu lassen, war geboren. Doch war es noch ein langer Weg, die entsprechende Technik für den ersten Spannring zu entwickeln. Denn entscheidend für den sicheren Halt ist eine ganz bestimmte Spannung. Sie muss durch einen präzisen Schmiedeprozess im ursprünglich zu weichen Edelmetall aufgebaut werden, um den kostbaren Edelstein sicher zu halten.
1981 kam die Ur-Edition in einer Auflage von 99 Exemplaren aus Platin 950 auf den Markt. Der Niessing Spannring® wurde ein Welterfolg. Er entspricht einer Grundidee der Moderne, dass die Form der Funktion folgt und ist, vielfach ausgezeichnet, längst ein Designklassiker. 2001 wurde der Niessing Spannring® urheberrechtlich geschützt und in den Rang eines Kunstwerks erhoben. Inzwischen gibt es ganz unterschiedliche Ringformen für das Konzept Spannring in der münsterländischen Manufaktur. Die Fertigung erfordert höchste Sorgfalt – von der Auswahl des Diamanten über die Legierung, den Schmiedeprozess des Edelmetalls bis hin zum Einpassen und Polieren. Die folgende Bildserie gibt einen Eindruck von der Fertigung eines Spannrings in der Manufaktur Niessing. Wir danken dem Entwicklungsleiter Hans Verwohlt, der uns die spannenden technischen Details erklärt hat.
Legierung, Schmelzprozess und Guss
Am Anfang der Spannring-Fertigung steht, wie bei jedem anderen Schmuckstück in der Manufaktur Niessing, der Schmelzprozess. Für die verschiedenen Goldlegierungen werden nur recycelte Edelmetalle aus der Scheideanstalt verwendet. Die Legierungszusätze sind ein Betriebsgeheimnis. Zunächst werden die Feingoldgranalien mit den anderen Legierungsmetallen in einem Induktionsofen bei Temperaturen bis 1100 Grad geschmolzen. Anschließend wird das flüssige Edelmetall aus dem Tiegel zu einem Barren gegossen.
Umformprozesse, Glühen und Drehen
Durch spezielle Rezepturen einzigartige Goldfarben zu entwickeln, ist Teil der Produktphilosophie von Niessing. Die in der Manufaktur bewahrte traditionelle Ringfertigung setzt aufwändige Umformprozesse voraus. Das mehrfache Glühen und Abkühlen im Wasserbad beseitigt molekulare Spannungen in der Gitterstruktur des Edelmetalls. Der Spannring Verlauf wird von Hand gedreht und in die endgültige Form gebracht. Ein Arbeitsvorgang, der höchste Konzentration und große Erfahrung verlangt.
Elektroerodieren, Steinbett fräsen und verheiraten
Der Rohling für den Spannring HighEnd wird aus mehrfach gewalzten Platin- oder Goldplatten geschnitten. Durch das Walzen der Platten in unterschiedlichen Richtungen, wird das Edelmetall stark verdichtet und erreicht eine hohe Spannkraft. Entsprechend der Größe des Brillanten und der dazu gehörigen Ringgröße wird die Erodiermaschine individuell programmiert. Nachdem der Fasser das „Steinbett“ von Hand eingefräst und dem Brillanten angepasst hat, wird dieser mit einer Steinpinzette eingefügt – in der Manufaktur nennt man das liebevoll verheiraten. Links das Verheiraten beim Niessing Spannring HighEnd in Roségold, rechts ein HighEnd in Platin.
Politur und Reinigung
Die Politur der Niessing-Spannringe erfolgt mit unterschiedlichen Mullrädern und einem Mikromotor, der eine sensible Bearbeitung der Oberfläche ermöglicht. Anschließend werden die Spannringe mit heißem Wasserdampf gereinigt. Im Bild zu sehen ist der Spannring Heaven, links in Platin, rechts in der neuen Legierung Rosewood. Durch die verschiedenen Modelle, die Zusammenstellung der Farbtöne des Goldmetalls oder Platins und die unterschiedlichen Diamantgrößen hat jeder Niessing-Spannring am Ende Unikat-Charakter.
Text Reinhold Ludwig
Fotos Niessing
Erschienen in ART AUREA 3–2016