Die Idee des Einfachen knüpft sich in der Keramik allzu gern an Funktionelles: Dem besten Gebrauch entspreche die einfachste Form. Dass mit einfachen, gedrehten Formen aber Hochkomplexes sinnfällig und Abstraktes sinnlich werden kann, machen die Arbeiten Emil Hegers klar. Wo Brauchbares sonst ganz praktisch klein ist, spielt er die Eigenheiten des Metiers wohlüberlegt in einer selten gesehenen Dimension aus. Gleichwohl geraten die Keramiken des 1961 geborenen Künstlers nie zu bloßen Konzept-Exempeln. Im Gegenteil. In ihrer übersteigerten Körperlichkeit und berückenden Präsenz geben sie kein Quäntchen dessen preis, was Liebe zur und Leidenschaft für Keramik wieder und wieder zu entzünden vermag. Doch transzendiert Heger das übliche Maß wie in einem Erlösungsversuch. Man merkt ganz schnell: Hier bewegt sich einer zwischen Stühlen und Feldern. Für seine Arbeit freilich gilt, was einst ein Großer der Keramik in Deutschland, Walter Popp, als Kennzeichen keramischer Moderne überhaupt bemerkte: „Keramik entsteht nicht aus Keramik allein …“
Nach der Ausbildung in Deutschland und seinen Lehrjahren in Japan studierte Emil Heger am Institut für Künstlerische Keramik in Höhr-Grenzhausen. Fasziniert vom Phänomen des bloßen Werdens einer Form stellte er sich die Frage, ob es möglich wäre, gedrehte Keramik in statu nascendi zu präsentieren, also das Formwerden selbst ganz frisch und unmittelbar zu zeigen? Ohne dass der Keramiker in der Folge „japanisierte“, war dieser Ansatz doch ein Nachhall aus Fernost. Das Belassen einer Form und der Spuren des Brandes, das Dulden, ja Bevorzugen von Ungleichmaß gehören ins Wesen japanischer Keramik – dem peniblen Perfektionismus Europas zuwider. Nach Versuchen mit einer Art von action painting aus getropfter Glasur auf frei gedrehten Stangengefäßen, entwickelte Emil Heger hohe Röhren, Spindeln oder Bulben, die er in aufeinander gedrehten Abschnitten fertigte. In sachlicher Neutralität nannte er diese schlicht „Drehform“.
Die Objekte aus Steinzeug, unbegradigt, ungeglättet, „werdend“, vermitteln den Aufwärtssog ihrer Drehspuren ebenso wie den ablaufenden Beguss aus meist matter, monochromer Engobe oder Glasur. Ihr weiches, plastisches Entstehen ist noch in der erstarrten Härte der Keramik präsent. Oft einander ähnlich sind diese Keramikobjekte doch niemals gleich. Sie empfingen ihre Identität durch Variation und lassen vibrierend fühlen, dass ihr Sein als Varianten ohne Urbild zwar nicht zwingend, aber eben sehr wohl möglich war. Solcherart „Mögliche unter Möglichen“ zu Gruppen und Installationen zu fügen, war dann sehr folgerichtig. Erst in der Gesellschaft ihresgleichen wurde man vollends der Kommunikation von Differenz, der Behauptung von Identität und der Schönheit ihrer Freiheit gewahr. Besonders wenn die unhierarchisch Gleichen und doch individuell Verschiedenen unter dem Maß einer penibel fixierten Höhe standen. Der Effekt des Zusammenspiels von freier Form und strenger Maßgabe ist paradox: Da winden sich die verschiedenen Körper mannshoch, rotierend, schwellend, schlingernd, um irritierend einheitlich abrupt zu enden.
Machart wie Konzept behielt der Keramiker in der Folge bei. Die große Dimension und das körperliche Gegenüber in Gruppen bestimmt die leicht variierten Formen nach wie vor. Form selbst dagegen findet sich nicht einfach mehr im Entstehungsprozess, sie wird erfunden. Emil Heger konzipiert heute seine nach dem Brand bis 180 cm hohen und bis zu 70 cm durchmessenden Spindelformen vollkommen akkurat. Er dreht kleine Modelle vorab, die er maßstäblich exakt ins Große überträgt. Kontrolliertere Formforschung. Was sich als Erfahrung früher schon angesichts aufwachsender Vertikalität ergab, wesenhafte Körperlichkeit nämlich, tritt einem jetzt bedrängend fast wie eine Person entgegen. Die übergroßen Spindeln gewinnen in ihrem Sich-Dehnen und Sich-Wieder-Verjüngen auf seltsame Weise Anthropomorphes. Sie erscheinen wie dicht wirbelnde, scharf umrissene Schemen von Gestalten und wirken durch ihre fast horizontalen Drehrillen wie mumienhaft gewickelt. Dabei sind sie in ihrer Anmutung ganz klassisch, freigestellte, lastlos-leichte Säulen, erhaben, aufgerichtete Menhire, unnahbar schweigend, mahnend fast wie die biblische Salzsäule, die als Lots Frau erstarrte. Der formale Spielraum der nun ähnlicheren Objekte ist zwar vermindert. Mal mehr, mal weniger geöffnet, kleine Nuancen in der Silhouette, gehören sie sichtlich strikter zu einer Form. Doch eines ist ganz neu und anders: Wie nass glänzen sie in gedeckt-prächtigen Farben – noch immer fließend, monochrom, changierend – aber in Tönen, die es vorher hier nicht gab. Ein tonloser Farb-Chor. Sein chromatischer Klang als komponierte Gesellschaft im Raum, moduliert durch Stellung, Nähe und Abstand, wandelt die Einzelnen, dämpft diesen, erhöht jenen, harmoniert hier, dissoniert dort. Sie korrespondieren, kommunizieren, wie monotone Stimmen, die einander überlagern in Konsonanz oder Interferenz. Das Gleiche teilt seine Unterschiede mit – so wird das Einfache durch andere vielfach.
Text Walter Lokau
Photos Achim Hatzius