Anna Heringer | Bauen mit Lehm

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Sie ist eine Pionierin des Lehmbaus. Schon früh habe sie ein „kreatives Jucken“ in sich gespürt und wollte künstlerisch arbeiten. Für das Studium hat Anna Heringer nach dem Fach gesucht, das am meisten soziale und ökologische Verantwortung mit sich bringt: Architektur. Von Anfang an stand ihr dabei der Lehmbau im Sinn, aber an der Uni war darüber nicht viel zu hören.

Schon ihr Büro ist anders. Während in üblichen Architekturbüros Minimalismus und Designmöbel vorherrschen, verströmt das Studio von Anna Heringer gemütlichen WG-Charme: Unter weißem Kreuzgratgewölbe Stühle und Tische vom Flohmarkt, Bauernmöbel neben Biedermeier, eine Ecke voller Kisten, an den Wänden Grundrisse in Aquarell oder auf Stoffen gestickt. Auf einem Regal steht eine große Strohfigur, eine Hindu-Gottheit – kopflos. Anna Heringer lacht. „Das ist keine Absicht, den muss ich noch machen. Aber es stimmt schon: Bauch und Hände sind für mich wichtiger.“

Ein Design-Klassiker findet sich doch im Raum: eine Lampe von Ingo Maurer mit zahlreichen Metallärmchen, in die man Zettel einspannen kann: „Architecture is a tool to improve life“ steht da, ein Leitspruch des Studios. Und: „Qualifiziert bei Rot über die Ampel“, ein Spruch ihres Vaters. „So bin ich erzogen worden: Regeln hinterfragen und den gesunden Menschenverstand nutzen.“

Das heißt für die Architektin auch, mit Lehm zu bauen: Er ist nachhaltig, kann vor Ort abgebaut werden und bietet ein gesundes Raumklima. Außerdem ist Bauen mit Lehm preiswert – nur nicht in Deutschland: Lehmbauten brauchen sehr wenig fossile Energie, dafür aber mehr Handwerk. „In unserem Wirtschaftssystem sind die Preise auf fossile Ressourcen noch immer spottbillig, das Handwerk aber, die menschliche Energie, wird sehr hoch besteuert“. Der Weg zum Lehmbau in Deutschland war für Anna Heringer entsprechend weit. Internationale Anerkennung erhielt sie erst einmal für ihre Lehmbauten in Asien und Afrika. Gastprofessuren führten sie nach Harvard und Zürich, sie hat im MoMA in New York und auf den Architekturbiennalen in Venedig ausgestellt. 2007 gewann sie den renommierten Aga Khan Award für Architektur, es folgten weitere Auszeichnungen bis hin zum Bundesverdienstkreuz. Die Preise bringen Aufmerksamkeit und helfen, das Thema Lehmbau voranzutreiben. 

In Traunstein entsteht gerade im Auftrag der katholischen Kirche der Campus St. Michael. Das zentrale Lehmgebäude mit Café, Seminarräumen und Co-Working-Plätzen wird der erste tragende und außen bewitterte moderne Lehmbau in Deutschland sein und der erste öffentliche Lehmbau in der Region, in den jeder hineingehen und die Atmosphäre spüren kann. Hinzu kommen ein Internatsgebäude in Holzbauweise und andere Gebäudeteile, in denen Beton verbaut werden muss – aus Kostengründen. „Bei den Bauvorschriften müsste mal kräftig ausgemistet werden“, meint Anna Heringer. Beispiel Absturzsicherung: In ganz Deutschland ist die ab einem Meter Fallhöhe nötig, in Bayern bereits ab 50 cm. „Ja sind die Bayern etwa doppelt so deppert?“ Vorschriften sollen schützen, aber manchmal gehen sie der Architektin einfach zu weit. „Für ein My mehr Sicherheit werden da immer wieder neue Normen aufgelegt. Aber komplette Sicherheit gibt es nie.“ Die vielen Normen machten das Bauen mit dem Werkstoff Lehm teuer, erklärt Anna Heringer.

Die Baustoffindustrie sei auf Beton gebaut, da wolle man keine Veränderungen. Dabei sollten alle wissen, dass es nicht mehr so weitergehen könne wie bisher. Sand für den Beton werde knapp, fossile Energie immer teurer. Da wäre es nur logisch, den Brennvorgang, bei dem die hohen Emissionen in der Zementherstellung entstehen, wegzulassen und statt mit Ziegeln oder Beton mit Lehm zu bauen. Es falle ohnehin viel an: ob man einen Kanal grabe oder eine Tiefgarage, den Aushub müsse man bisher teuer entsorgen. „Es bräuchte in jeder Region eine Lehm-fabrik, die diesen Aushub aufarbeitet“, fordert Anna Heringer.

Auch Holz sei ein wunderbarer Rohstoff zum Bauen, wie der Lehm kommt es aus der Natur, doch im Nachhaltigkeits-Vergleich schneide Lehm nochmal besser ab: Ein Baum brauche viel Zeit, um zu wachsen, für Massivholzbauweise sei das eigentlich zu schade. Am besten wäre eine Mischform, erklärt die Architektin: „Holz ist wichtig für Decken, Lehm ist gut auf Druckfestigkeit, aber nicht auf Zug.“ Im kürzlich vollendeten RoSana Gästehaus in Rosenheim hat Anna Heringer beide Bauweisen kombiniert, auch das Geburtshaus im österreichischen Hittisau ist ein komplett mit Holzschindeln bedeckter Bau. 

Doch die Wände in den Köpfen vieler Menschen seien betonhart: Viele dächten noch immer, Lehm sei ein Baustoff nur für Entwicklungsländer. Das sei Unsinn, Lehmbauten könnten genauso gut in der Münchner Innenstadt stehen. „Technisch spricht nichts dagegen“, sagt Anna Heringer. „Es ist eine Frage des Wollens“. Auch in den Entwicklungsländern selbst halte sich hartnäckig die Überzeugung, Lehm sei der Werkstoff der Armen, die sich gebrannte Ziegel nicht leisten könnten. „Jede Organisation, die mit Macht und Geld kommt, egal ob Regierung, Kirche oder Hilfsorganisation, baut mit Beton. Dann denken alle: Wenn man entwickelt sein will, muss man offenbar auch so bauen“. Deshalb sind Anna Heringer die Projekte in Deutschland so wichtig. Wenn sie den Menschen in Asien oder Afrika sagen könne, dass sie auch in Deutschland mit Lehm baue, könnte sich das Lehm-Image vor Ort ändern.

Dabei könnten Lehmbauten sehr langlebig sein, erklärt Heringer: ein gutes Fundament, Erosionsbremsen an der Fassade – selbstverständlich aus natürlichem Material – und breite Mauern, dann seien Lehmbauten kein Problem. In Kombination mit Holz seien auch mehrstöckige Gebäude möglich, die Wüstenstadt Shebam im Jemen mit ihren 500 Jahre alten Lehmhochhäusern beweise es. Die breiten Mauern könne man ideal als Nischen nutzen, als Rückzugsräume. Mit einer Handbewegung deutet die Architektin auf die dicke Eingangswand ihres eigenen Büros: „Schauen Sie sich die Mauern hier an, so bin ich aufgewachsen!“ Anna Heringer stammt aus Laufen an der Salzach, gleich an der Grenze zu Österreich. Sie ist ein internationaler Star, ihr Büro aber hat sie weiterhin hier, am Rand von Bayern, in den Gemäuern der Altstadt. 

Breitere Mauern? Bei dieser Vorstellung sträuben sich Investoren die Haare, denn mehr Mauer heißt weniger Quadratmeter. „Es geht aber nicht um Quantität, sondern um Qualität“, kontert Heringer. Lieber weniger Fläche und dafür ein gutes Gebäude. Wenn Immobilienpreise nicht nach Quantität, sondern nach ökologischer und gesundheitlicher Qualität berechnet würden, würde in deutschen Innenstädten vermutlich nur noch mit Lehm gebaut werden. „Gifte im Essen versuchen wir zu vermeiden, bei der Kleidung wächst das Bewusstsein auch langsam, aber beim Bauen? Riecht neu, denken die Leute, wenn sie einen Neubau betreten. Das riecht aber nicht neu, das riecht toxisch.“ In den Baumaterialien, im Kleber, in den Schäumen seien Chemikalien drin, in den Beton selbst werde manchmal sogar verbrannter Müll gemischt, erklärt die Architektin. Das alles habe Auswirkungen auf unsere Gesundheit. „Lehmbauten bieten das gesündeste Klima für den Menschen, das ist erwiesen“. 

Aber Lehm ist nicht nur gesund und umweltfreundlich: Er ist auch sehr schön! „Schönheit ist, wenn etwas harmonisch ist, harmonisch gegenüber dem Planeten und der Mitwelt und auch im Sinne der zukünftigen Generationen“. Anna Heringer nutzt für ihre Arbeiten deshalb lokale Lehmvorkommen und bezieht die Bevölkerung mit ein. Das sorgt für Akzeptanz und Verantwortung für das neue Gebäude. Einen Altarblock in der Kathedrale von Worms hat sie von den Gemeindemitgliedern selbst aus Erde stampfen lassen. Beim Bau der METI-Schule in Bangladesch durften auch die Kinder leichte Arbeiten übernehmen. „Die hatten natürliche eine Mordsgaudi auf der Baustelle. Ich bau an meiner Schule mit! Ich habe Kraft, ich kann etwas bewirken. Es ist so wichtig, dass man sich nicht ohnmächtig fühlt.“ Am Campus St. Michael in Traunstein dürfen Jugendliche die Lehmwände mit Reliefs gestalten. Vor allem aber legt die Architektin auch selbst mit Hand an. „Es ist nochmal etwas anderes, ob man ein Gebäude geplant oder ob man auch selbst mitgebaut hat.“ 

Anna Heringer lebt ihre Überzeugungen. Ganz bewusst hält sie ihr Architekturbüro klein, sie will alle Projekte selbst in der Hand haben. Bei größeren Aufträgen arbeitet sie mit Partnerbüros zusammen, zum Beispiel mit dem Vorarlberger Architekten Martin Rauch. Einfamilienhäuser lehnt sie ab – weil sie den Lehmbau ja in die Öffentlichkeit tragen will und aus Überzeugung. Einfamilienhäuser seien ökologisch nicht sinnvoll. Die Architektin wohnt mit ihrer Familie selbst in einem Mehrfamilienhaus, im ausgebauten Dachgeschoss gleich über ihrem Büro. Hier kann sie Geothermie nutzen und hat Solarzellen auf dem Dach.

Rudrapur, Bangladesch. Der Großteil der Bevölkerung in Bangladesch lebt auf dem Land. Weil es dort zu wenig bezahlte Arbeit gibt, arbeiten viele Frauen unter schlechtesten Bedingungen als Näherinnen in den Textilfabriken der Städte. Um ihnen Arbeit in ihren Dörfern zu ermöglichen, hat Anna Heringer gemeinsam mit der Schneidermeisterin Veronika Lena Lang das Label Dipdii.
Ich bin eine Bildunterschrift. Ich bin eine Bildunterschrift. Ich bin eine Bildunterschrift.

Gleich nebenan hat sie ein Geschäft für nachhaltige Produkte und lokales Handwerk mit initiiert. Unter anderem wird hier die Kleidung des Modelabels Dipdii Textiles vertrieben, das aus der Zusammenarbeit mit Näherinnen in Bangladesch entstanden ist: Frauen nähen aus abgelegten Sari-Stoffen neue Kleidung, nach den Entwürfen der Designerin Elke Burmeister. Anna Heringer trägt diese Kleidung auch gern selbst, dazu fair hergestellt und gehandelte Schuhe. Sie weiß, wie übliche Kleidung entsteht, hat die Näh-Fabriken in Bangladesch selbst gesehen: „Ich kann das nicht mehr kaufen. Bei allem, was ich brauche, schau ich immer erst, ob ich es am Flohmarkt kriege. Und vorher frag ich mich, ob ich es wirklich haben muss.“ Als Kind war Anna Heringer bei den Pfadfindern, das habe sie im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig geprägt. „Dort hab ich früh gelernt: Genügsamkeit und Selbermachen befreien.“ Ihre Lösung für die ökologischen Probleme unserer Zeit klingt relativ einfach: „Wir müssen hin zu einer glücklichen Genügsamkeit“. 

Text: Julie Metzdorf 

Fotos:© Anna Heringer