Test: Freiheit mit Aussicht

Christiane Förster und Norman Weber zählen zu den renommierten Schmuckkünstlern der Gegenwart. Zurzeit sind sie mit aktuellen Arbeiten in der Ausstellung des Danner-Preises 2023 in der Heilig- geistkirche in Landshut zu sehen. Das Paar lebt in Kaufbeuren zwischen München und dem Bodensee.

Zwei Goldschmiedetische nebeneinander, mit Blick auf ein großes Fenster und den Garten. Erdbeertrauben winden sich über die Balkonbalustrade. Zwei getrennte Arbeitsplätze in einem gemein- samen Raum: ein schönes Bild für Nähe und Eigenständigkeit, für die vielen Parallelen und Gemeinsamkeiten im Leben der beiden Schmuckkünstler. Kennengelernt haben sich Christiane Förster und Norman Weber während ihrer Ausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Kaufbeuren/Neugablonz.

Beide haben später in der Schmuckklasse an der Akademie in München studiert, und beide haben den Weg in die „Zweigleisigkeit” gewählt: Neben der freien künstlerischen Arbeit unterrichten sie an der Schule, an der sie einst selbst gelernt haben, Norman Weber ist mittlerweile künstlerischer Leiter der Schule. Natürlich bleibt zwischen Schule und dem Familienleben mit zwei Kindern viel zu wenig Zeit für die künstlerische Arbeit, trotzdem haben sie ihre Entscheidung nie bereut. Die Anstellung schafft ihnen die Freiheit, in ihrem Schmuck schalten und walten zu können, wie sie wollen, sie müssen nicht vom Verkauf ihrer Arbeiten leben. Diese Freiheit sieht man ihren Arbeiten an: Sowohl Norman Weber als auch Christiane Förster machen extrem aufwändige Stücke, an denen sie viele Stunden sitzen.

Christiane Förster experimentiert immer wieder mit Techniken, Materialien und riskanten Arbeitsschritten, und weiß zu Beginn nie, ob am Ende überhaupt irgendwas Brauchbares herauskommt. Ihre jüngsten Arbeiten bestehen aus Silberblech, das sie mit verschiedensten Mustern überzieht, dafür hat sie unter ande- rem alte Stahlstempel aus Neugablonz benutzt. Die Bleche sind fast so dünn wie Schokoladenpapier, immer wieder gibt es Durch- brüche, durch die das Licht hindurchscheint, die Ästhetik erinnert an feinste Textilarbeiten. Nach dem Punzieren zerknüllt sie die Bleche zu dreidimensionalen Körpern. Was für ein Akt! Wo und wie sich das Blech genau faltet, kann sie kaum vorhersehen, nicht jedes Muster sieht geknüllt gut aus. Ein Zurück gibt es nicht, bei einem zweiten Biegen würde das Silber brechen. Wenn es aber gelingt, entstehen Gebilde zwischen Struktur und Chaos: „Ein klarer Rhythmus ist toll”, sagt Christiane Förster, „aber noch spannender ist es, ihn zu brechen.” Die Faltungen geben den Stücken etwas Geometrisches, die Muster lassen alles weich wirken, wie barocke Spitze. Mit der Technik holt die Künstlerin bei geringstem Materialverbrauch das Maximum an Volumen und Leichtigkeit heraus. Am Ende werden die Stücke mit einem feinen Schleier aus Email überzogen. Der Vorgang ist riskant: der fragile Körper muss im Ofen mit den Spannungen fertig werden, die beim Emaillieren

entstehen. Ursprünglich hat Christiane Förster in Neugablonz Stahlgraveurin gelernt. Stahlgraveure kann man sich als Mini-Bildhauer vorstellen: sie gravieren, punzieren, meißeln, drücken und feilen auf kleinstem Format. „Ich mag den Widerstand”, sagt die Künstlerin. Und offenbar auch die Gefahr: Ein Schlag zu viel und alles ist hin. „Ich musste erstmal lernen, mein Temperament zügeln, das war gar nicht so einfach!” Ihre Arbeiten beweisen: Es ist gelungen. In einer älteren Reihe hat sie feine Silberdrähte zu lockeren Körpern verhäkelt. Auf diese Geflechte hat sie Schicht um Schicht Email aufgetragen. Auf die Spannungen, die beim Email- lieren entstehen, konnte der Untergrund reagieren: er hat sich im Ofen bewegt. Das Email selbst hat wie die Seifenlauge im Blasring beim Seifenblasenpusten nach und nach die Zwischenräume der Maschen geschlossen. So entstanden kleine transluzide Flächen, die dem Objekt eine bis dato völlig neue Ästhetik verliehen – und das ist ja das Ziel aller Experimente. Wie archaische Fundstücke wirken die Objekte, oder wie verfaulende Früchte. „Mich interes- siert der morbide Charme von Alterungsprozessen. Die Glätte des Schönen ist nicht so mein Weg”. Widerstand, Risiko, Unberechen- barkeit – das ist es, was Christiane Förster beim Machen sucht.

„Wenn ich eine Technik dann ganz gut im Griff habe, interessiert es mich dann oft nicht mehr so sehr”. Ein Satz, den später ganz ähn- lich auch Norman Weber über seine Arbeiten sagen wird. Denn bei allen Parallelen im Leben der beiden Schmuckkünstler war doch von Anfang an klar: die Interviews mit der Besucherin finden getrennt voneinander statt. Jeder bekommt seine eigene Zeit und seinen eigenen „Raum”, um seine Arbeit vorzustellen. Und die ist in der Tat auch sehr unterschiedlich. Während Christiane Förster bei aller Experimentierwut hauptsächlich mit Metall und klassi- schen Techniken wie Gravur, Emaillierung oder Granulation arbei- tet, also durch und durch analog, entwickelt Norman Weber seine Arbeiten seit einiger Zeit am Computer und druckt sie 3D in Kunst- stoff aus. Schon früh hat er sich mit aufwändigen Konstruktionen beschäftigt.

Für seine Serie Glanzstücke aus Aluminium zeichnete er Schnittbögen auf Millimeterpapier: extrem komplexe Abwicklungen, in denen jede Lasche und jede Lütze, jede Biegung und jeder einzusetzender Stein exakt angegeben waren. Die Ästhetik der spiegelnden Broschen erinnert an Fahrgeschäfte aus Volksfesten: Glanz, Glamour, Glitter! Manche Broschen sehen aus wie kleine silberne Karusselle, übersät von rosa Schmucksteinen: Ein Spiel aus barocker Üppigkeit und der Trivialität von Blechspielzeug. Angst vor Pop-Kultur hat Norman Weber wahrlich nicht. Das zeigt sich auch in Serien wie den Porträts: porträtiert wurde hier u.a. sein eigenes altes Spielzeug, von Barbie-Puppen bis Big Jack. Für Arbeiten aus der Reihe Private Mythen hat er Fotos aus seiner Kindheit verwendet, den väterlichen Fernsehsessel zum Beispiel oder auch die Schrankwand des Wohnzimmers. So spielerisch, frech und lustig der Schmuck von Norman Weber auch wirkt, am Ende geht es doch um die ganz großen Fragen nach Erinnerung und Schönheit, nach Effekten und Attrappe, Fake und Spiel.

Für seine jüngsten Arbeiten hat Norman Weber vor kurzem den Friedrich-Becker-Preis bekommen: farbenprächtige Broschen mit geometrisch angeordneten Formen, Kugeln oder große facettierte Schmucksteine, das ganze allerdings in Plastik-Optik. Tatsächlich bestehen die Stücke aus Kunststoff und wurden in 3D gedruckt. Der Anteil manueller Arbeit ist allerdings hoch: die Rohlinge aus dem Drucker müssen aufwändig nachgearbeitet werden. Im Anschluss werden sie lackiert, mit Airbrush-Technik, damit es nicht so pastos wird. Diesen Lack schleift Norman Weber dann teilweise wieder ab, und verleiht so dem Ganzen die Illusion von Gebrauchsspuren. Mit dieser Lebendigkeit bricht er den Eindruck industrieller Fertigung – aber natürlich ist das Fake.

Einen „langsamen Brüter” nennt sich Norman Weber selbst, denn trotz Computereinsatz dauert es lang, bis so ein Stück fertig ist. „Es ist sehr aufwändig zu konstruieren und es entstehen zig Varianten und Zwischenstadien, bis ich sage, das lasse ich jetzt wirklich ausdrucken.” Die Arbeit an einem Stück kann sich so über Monate ziehen, denn für die eigene künstlerische Arbeit bleibt ihm im Schnitt nur ein Tag pro Woche. Bei Christiane Förster ist es ähnlich. Fast scheint es, dass die von Berufsalltag und Familie zeit- lich eingeschränkte Kreativität sich am Ende doppelt Luft macht. Die letzten Ferien waren jedenfalls wunderbar: Sie sind daheim geblieben und haben die Arbeit in der Werkstatt genossen.

Text: Julie Metzdorf Fotos: Ulrike Myrzik

Sie sind seit langem ein Paar, als international renommierte Schmuckkünstler und im Leben. Hier in ihrem Haus
in Kaufbeuren. Auch lehren beide an der Staatlichen Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Kaufbeuren- Neugablonz.

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Im Zentrum des Gartens steht ein Blauglockenbaum, der
die Künstlerin an ihre Jugend am Bodensee erinnert. Auch Indigosträucher, Pawpaws oder Dreiblattzitronen verleihen dem Garten einen fast exotischen Charakter. Rechts unten: Erdbeertrauben.