Edmund de Waal bei Max Hetzler

Mit "Irrkunst" ehrt der Keramiker in einer Doppelausstellung Walter Benjamin

Edmund de Waal ist ein Hoffnungsträger der Angewandten Kunst. Scheinbar mühelos überschreitet der britische Künstler, Professor und Autor Grenzen, die für die meisten Keramiker unüberwindbar bleiben. Regelmäßig werden seine minimalistischen Arbeiten in Ausstellungen dem Kunstkontext zugeordnet: ein klarer Respektsbeweis der sonst auf Abgrenzung zum Gefäß bedachten Kunstszene. Im niederländischen Bonnefantenmuseum standen seine Keramiken neben Ai Weiwei und Picasso, Anfang 2016 zeigte die renommierte Gagosian Gallery seine erste Soloshow in Los Angeles. Die Berliner Kunstgalerie Max Hetzler zieht nun mit einer Ausstellung nach. Unter dem Titel Irrkunst werden noch bis zum 16. Juli an zwei Locations de Waal-Stücke gezeigt.

Die positive Einschätzung de Waals durch die Kunstszene hat mit dem Geist seiner Arbeit zu tun. Als das genaue Gegenteil des isolierten Keramikers, der auf der Suche nach äußerlicher Perfektion ein Schälchen nach dem andern töpfert, ist Form ihm nicht genug. Er, der sich leidenschaftlich für Architektur, Raum und Geräusch interessiert, braucht und will Inhalt, Kontext, den Bezug zu anderen Disziplinen. Immer sucht er auch die intellektuelle Auseinandersetzung, wie seine teils prämierten Texte belegen. In seinen raumgreifenden Installationen komponiert er unregelmäßig geformte Porzellanobjekte in Regalen und Vitrinen wie Partituren auf dem Notenblatt – und befreit sie auch durch die Einbindung in einen Rahmen von dem Kunsthandwerklichen. Er spricht eine Sprache, die die Kunstwelt versteht.

Wiederholung, Rhythmus sowie Bezüge zu Literatur und Musik finden sich nun auch bei Max Hetzler. Kein Geringerer als Walter Benjamin inspirierte de Waal zur dortigen Installation, zumal der Künstler durch die Texte des Philosophen die Hauptstadt erst kennenlernte. Der Titel der Schau leitet sich von Benjamins Konzept der Kunst, sich selbst zu verirren, ab und der Kunst, das Verlorene, Unbeachtete wahrzunehmen. Dabei unterscheiden sich die Aufmachungen an den beiden Berliner Orten der Galerie stark. Die ehemalige Poststelle in der Goethestraße steht ganz im Zeichen der Schwere und Monumantalität. Den Besucher erwarten große, mysteriöse Kästen mit Öffnungen, in denen gruppierte Keramiken sich verbergen. Gekonnt kommuniziert de Waal mit schwarzem Holz und dunklem Porzellan Abschied und Verlust. Ergänzt wird das Ganze durch eine temporäre Bibliothek mit Schriften von und über Walter Benjamin.

Goethestraße 2/3, Berlin

Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin Edmund de Waal bei Galerie Max Hetzler Berlin

In helleren Tönen präsentiert de Waal in der Galerie in der Bleibtreustraße Arbeiten zu Benjamins Kindheit. Dessen Leidenschaft für das Sammeln von Objekten und die Idee des Sammelns als Erinnerungsarbeit thematisiert er unter anderem mit einer neuen Serie von Vitrinen. Passenderweise gibt es auch einen Raum, von dem aus man Benjamins ehemalige Schule sehen kann. Eine Auswahl an Originalnotizen und -manuskripten aus dem Walter Benjamin Archiv an der Akademie der Künste, Berlin, rundet die Ausstellung ab.

Edmund Arthur Lowndes de Waal wurde 1964 in Nottingham geboren. Früh entdeckte er seine Lust am Töpfern, als Teenager verbrachte er Stunden in der keramischen Sammlung des Victoria & Albert Museum, wo heute seine Arbeiten zu sehen sind. Besonders die asiatischen Keramiken hatten es ihm angetan. Nach der Schule lehnte er zunächst einen Studienplatz in Cambridge ab und ging stattdessen in die Töpferlehre bei Geoffrey Whiting. Ohne vom Töpfern abzulassen, belegte er an der Eliteuniversität dann doch englische Literatur. Als die eigene Werkstatt nicht den erhofften Erfolg brachte, studierte de Waal Japanisch und ging mithilfe eines Stipendiums nach Tokio: ein Erlebnis, das sein Leben änderte. Er schrieb eine kritische Monographie über die britische Keramiker-Ikone Bernard Leach. Und er entdeckte Porzellan und Seladon für sich. Als er 1993 wieder in England ein Studio in London eröffnete, wo er noch heute lebt und arbeitet, hat er in von der Sung-Keramik beeinflussten zeitgenössischen Gefäßen in schlichten, oft zylindrischen Formen und gedeckten Farben seinen Stil gefunden. Die Hinwendung zum Konzeptuellen und gerahmte Gefäß-Assemblagen, wie sie nun bei Max Hetzler zu sehen sind, folgen. De Waal war von 2004 bis 2011 Professor für Keramik an der University of Westminster in London. 2011 erhielt er das Offizierskreuz des Order of the British Empire für seine Verdienste. Seine Werke werden heute international in namhaften Galerien und Museen gezeigt.

Auch als Schriftsteller ist Edmund de Waal erfolgreich. Für seine Familiengeschichte, den Bestseller Der Hase mit den Bernsteinaugen (2010), erhielt er mehrere Auszeichnungen. Sein neues Buch The White Road über Porzellan erschien 2015 in England und wird im Herbst 2016 in Deutschland im Hanser Verlag publiziert.

Text Agata Waleczek

Bleibtreustraße 45, Berlin

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Photos Courtesy of the artist & Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris

  • Galerie Max Hetzler
    Bleibtreustraße 45 &
    Goethestraße 2/3
    Berlin
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