Vor knapp dreißig Jahren, im Herbst 1985, erschien die erste Ausgabe von Art Aurea. 1986 besuchte ich als Herausgeber erstmals die Klasse für Schmuck und Gerät an der Akademie der Bildenden Künste in München. Professor war damals Hermann Jünger. Er war in seiner Zeit an der Akademie von 1972 bis 1990 einer der prägenden Lehrer für Schmuckkunst weit über Deutschland hinaus. Am 10. März 2015 betrat ich mit meiner jungen Kollegin Paulina Tsvetanova die Räume der Goldschmiedeklasse, um die Fotokunstaktion „Wer trägt meine Kunst?“ vorzubereiten. Drei aufregende Tage mit wahren Sternstunden für die Schmuckkunst folgten. Der gerade emeritierte Professor Otto Künzli, der zwischen 1991 und 2015 als Nachfolger von Hermann Jünger die Leitung innehatte, zeigte uns die Räume. Es war ein bewegender Moment. Ich dachte an meinen ersten Besuch an der Akademie vor fast 30 Jahren, an die Gespräche mit dem großartigen Lehrer und Menschen Hermann Jünger, dem die Galerie Wittenbrink während der Münchner Schmucktage 2015 eine Einzelausstellung widmete. Dass Schmuck auch Kunst sein kann, war das zentrale Thema, das wir damals diskutierten.
Dass Schmuck Kunst sein kann, erlebten viele, die jüngst an der dreitägigen Aktion „Wer trägt meine Kunst?“ teilnahmen. Selbst, wer Schmuckkunst erstmals kennenlernte, erkannte dies spontan. Nicht wenige der TrägerInnen verstanden, dass künstlerischer Schmuck darüber hinaus eine ganz eigene Dimension hat: er verändert unsere Silhouette, unsere Körperhaltung und unser Erscheinungsbild. Schmuckkunst fordert uns heraus, fragt nach unseren Vorlieben, nach unserem Wesen, kehrt unser Innerstes nach außen und erweckt Gefühle. Einmal passierte es, dass eine Teilnehmerin während der Fotografie durch Miriam Künzli in Tränen ausbrach. Der Schmuck, den sie ausgewählt und getragen hatte, erinnerte sie an den Tod ihres Partners. Fast immer löste der Schmuck bei den Porträtierten etwas aus, machte nachdenklich, führte zu Gesprächen, zu neuen Einsichten oder machte manchmal einfach nur fröhlich. Ich selbst habe mich für eine Brosche von Francesco Pavan entschieden. Zum einen, weil ich ein Minimalist bin, die Farbe grün liebe und den Künstler aus Padua sehr schätze. Zum anderen, weil nur noch dieses Kunstwerk übrig war. Nachfolgend das Finale unserer wunderbaren Fotokunstaktion.
Hinweis: von allen 43 Aufnahmen gibt es fünf hochwertige, handsignierte Fotoabzüge. Die Kosten betragen bei 20 x 30 cm Größe 100 Euro. Der Erlös aus dem Verkauf geht komplett an die Orienthelfer von Christian Springer.
„Mich hat die Klarheit und Flexibilität beeindruckt. Jede Form kann verschwinden, dann muss man sie wieder suchen. Wie bei der Musik, wo man die Töne auch nicht festhalten kann. Ich liebe das matte Gold mit seiner Leichtigkeit in Verbindung mit dem Anthrazit des geschwärzten Silbers. Obwohl es Metal ist, fühlt es sich wie Holz an.“ Masako Ohta, München, Pianistin
„Als Gestalter im Handwerk mag ich natürlich Design und Kunst. Bei meiner Körpergröße finde ich etwas Großes gut. An der Brosche von Paul Derrez gefällt mir die klare Form, die aber verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulässt.“ Wolfgang Zeilnhofer-Rath, München, Stadtrat, Wählergruppe Hut. Diplomsozialpädagoge, Metallbauer
„Ich fand das Stück ganz lustig, weil es so ein Alltagsgegenstand ist. Dosen und Schachteln finde ich ganz allgemein sympathisch. Ich sammle gerne kleine Dinge, z.B. Erinnerungsstücke, Geschichten. Überhaupt findet so eine Verdosung der Welt statt. Alles wird heute verpackt. Schmuck zu tragen, ist für mich jedesmal ein Versuch. Man könnte jede halbe Stunde etwas anderes tragen. Ich trage immer Ohrringe, weil ich mir einbilde, ich höre damit besser.“ Carolina Camilla Kreusch, München, Bildhauerin
„In der Kombination und Heterogenität der Materialien sehe ich eine Kraft und eine Schönheit, die mich erfassen.“ Pravu Mazumdar, München, Philosoph
„Ich liebe Verwandlungen, Selbstinszenierungen, Rollenspiele. Als neues ‚Gesicht‘ bei Art Aurea ist mir besonders wichtig, das Gefühl des Schmucktragens gut zu kennen, zu verkörpern und weitere Menschen für die zeitgenössische Schmuckkunst zu begeistern. Ich habe Lust, fast alles zu tragen, denn ich habe mich in die ganze Schmuckkunst verliebt! Ich finde es gerade sehr inspirierend, neue Seiten der eigenen Persönlichkeit zu entfalten, durch lebendige, abwechslungsreiche und verrückte Schmuckstücke.“ Paulina Tsvetanova, Berlin, Marketing und Kommunikation für Art Aurea
„Mir gefallen an dem Anhänger die verschiedenen Schattierungen, auch dass er groß ist und gut zu meinen Haaren passt. Mir gefällt auch die gleißende Oberfläche des Silbers, das ich grundsätzlich gerne trage. Nachdem ich den Schmuck hatte, fand sich auch die richtige Klamotte dazu.“ Angela Gilow, München, Wirtshaus Tading
„Ike Jünger ist eine Künstlerin, die meine Oma Rosemarie Jäger als Galeristin sehr schätzt. Ich fühle mich sehr wohl damit und finde auch, dass er mir gut steht.“ Hannah, Hochheim im Taunus, Studentin
„Die minimalistische Einfachheit, die gleichzeitig so an die Natur erinnert, beeindruckt mich an der Kette. Wichtig erscheint mir auch, dass in solchen Arbeiten das Handwerk in dieser digitalisierten Zeit einen besonderen Stellenwert hat.“ Christine Gallmetzer, Bozen, Bildende Künstlerin und Philosophin
„Ich war überrascht über die Wirkung des Schmucks an mir. Als Schmuckkünstlerin mache ich etwas komplett anderes. Aber der Ring fühlte sich fantastisch an. Die Beweglichkeit der Stücke, vor allem des Rings und des Armbands und wie die Kette am Hals liegt, ist faszinierend.“ Lynne Philippé, Düsseldorf, Schmuckkünstlerin
„Die Halskette von Stefano Marchetti ist im Hinblick auf das Material Gold und Silber klassisch aber zugleich sehr zeitgenössisch.“ Carin Reinders, Appeldoorn, Direktorin CODA Museum
„Ich kannte den Hintergrund der Brosche mit den Atommolekülen von Fukushima nicht. Mich hat spontan die Größe, die kraftvolle Farbe und die Klarheit überzeugt. Schmuck dieser Art und Größe ist mir nicht fremd. Ich trage solche Stücke auch gerne im Alltag.“ Renate Merten, München, Eventmanagerin
„Ich habe mich für die Brosche von Francesco Pavan aus zwei Gründen entschieden: erstens, gefällt mir die architektonische, minimalistische Form und auch die Farbe Grün, zweitens schätze ich diesen Pionier der Goldschmiedekunst aus Padua persönlich sehr. Während meines Porträts habe ich gemerkt, wie schwer es ist bei einer solchen Fotografie locker und authentisch zu bleiben.“ Reinhold Ludwig, Ulm, Art Aurea-Verleger
Text und Interviews Reinhold Ludwig
Fotos Miriam Künzli