Thomas Feichtner

Der kleinere Maßstab

Nicht der Abschluss seines Studiums an der Universität für Künstlerische und Industrielle Gestaltung in Linz 1995 war für Thomas Feichtner das große Erlebnis, sondern eine Motorradreise durch halb Europa. Von diesen Erfahrungen, dem direkten Kontakt mit so vielen Menschen, profitiere er noch heute, erzählt der Designer beim Besuch in seinem Studio im 7. Wiener Gemeindebezirk, dem Grätzl der Kreativen.

Manufakturfertigung bei Augarten, Wien. Gefäß aus dem Tafelservice Shortcut. Design Thomas Feichtner

Manufakturfertigung bei Augarten, Wien. Gefäß aus dem Tafelservice Shortcut. Design Thomas Feichtner

1970 in Brasilien geboren und in Düsseldorf aufgewachsen, ist Feichtner heute Professor für Produktdesign an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Seine Erfolge sind ablesbar an der langen Liste der Auszeichnungen sowie seiner Auftraggeber, darunter namhafte Wiener Traditionsfirmen: etwa die Wiener Silber Manufactur, J. & L. Lobmeyr, die Porzellanmanufaktur Augarten oder die Neue Wiener Werkstätte. Auch für Thonet und Carl Mertens hat er entworfen.

A Viennese Pot lautet der Titel einer 2008 für die Wiener Silber Manufactur gestalteten und in Kleinserie produzierten Teekanne. Mehr einer konstruktivistischen Skulptur gleichend denn einem Gebrauchsgegenstand, stemmt sich hier ein Objekt gegen das Design-Edikt „form follows function“. „Design rechtfertigt sich nicht nur durch den Zweck, sondern ist auch Freude, Lust an Form“, so Feichtner. Sich dieser Leidenschaft hinzugeben, versucht er zukünftigen Gestaltern zu vermitteln: „Wenn ich einen Studenten frage, warum er das denn genau so gestaltet hat, würde ich auch die Argumentation akzeptieren: Weil’s mir g’fallt“. Und in der praktischen Umsetzung? „Ich hatte vor kurzem einen Studenten, der wollte unbedingt in Messing gießen. Also Gussformen gebaut, in Messing gegossen. Wir haben das zum ersten Mal gemacht, aber es war eine tolle Erfahrung.“ Feichtner rät, im Designstudium auch das Handwerk mit hineinzunehmen, zur Findung von Ideen oder Konzepten etwa. In seiner eigenen Ausbildung zum Industriedesigner wurde auf das Handwerkliche kein Wert gelegt. Erst später habe er für sich entdeckt, wie spannend und bereichernd die Zusammenarbeit mit Handwerkern ist. Wenn man in einer Silbermanufaktur mit jemand im Pensionsalter ein neues Projekt angehe, der als 15jähriger im selben Betrieb das Silberdrücken gelernt habe, „dann funkt’s, dann kribbelt’s, dann ist das eine Energie, ein Esprit, ein Spaß …“

Die Abwendung vom Industriedesign im Bereich Investitionsgüter hin zur Entwurfstätigkeit für Manufakturen und Werkstätten vollzog sich für Feichtner Anfang der 2000er Jahre auf einer Reise nach China. Eigentlich wollte er sich dort nach asiatischen Kunden in der Sportartikelindustrie umsehen. Viele Designer, erzählt Feichtner, hätten damals ein Büro in Shanghai gegründet. Alle hätten gesagt: „Ab nach China, in China liegt das Gold auf der Straße und man hat unendliche Möglichkeiten.“ Doch die Goldgräberstimmung war trügerisch: Schon bald wurde ihm klar, dass dies keine Akquisitionsreise, sondern eine Dokumentationsreise werden würde: Kinderarbeit, schwierigste Arbeitsbedingungen, enorme Umweltverschmutzung — das alles bekam Feichtner zu sehen. „Wenn ich zurückkomme, habe ich mir gedacht, dann suche ich mir jemanden in meiner Straße, in meiner unmittelbarsten Umgebung, und wenn das ein kleiner Tischler ist, und mach mit dem was.“ Auf einmal sei ihm klar geworden, dass der Designer nicht nur ein Löser von Problemen, sondern auch ein Verursacher der Probleme sei.

Den Gefahren globaler Arbeitsprozesse, die das Entwerfen und Herstellen komplett voneinander abkoppeln, begegnet Feichtner seitdem mit einer Gegenoffensive. Die Angebote Kettensägen oder Bohrmaschinen lehnte er ab, „weil ich nur noch Lust hatte, meine Gestaltung mit etwas Handwerklichem zu verbinden, etwas zu produzieren in einer unmittelbaren Umgebung und daraus eine Partnerschaft entstehen zu lassen, die eher einer Freundschaft gleicht, dem Teilen eines gemeinsamen Interesses oder einer gemeinsamen Neugier, statt eines gegenseitigen Profitversprechens.“ Und so seien dann Dinge entstanden, wo er neben dem Silberschmied gesessen, mit ihm geschliffen, gefeilt und probiert habe. „Das hatte eine ganz andere Qualität für mich und ich war plötzlich wieder glücklich.“ Seither entwickelt Feichtner zusammen mit Handwerkern Stühle, Trinkgläser, Fruchtschalen und Vasen, eine Saliera für das 21. Jahrhundert oder einen Armreif von goldener Geometrie. „Meine Familie lebt mit meinen Möbeln, meine Neffen essen mit meinem Besteck und Geschirr. D.h., ich habe einen unmittelbaren Einfluss auf meinen Alltag. Und das ist mir wichtig.“ Statt CAD-Programmen und Rapid Prototyping braucht Feichnter für seine Entwurfstätigkeit nichts als Bleistift und Papier. Die Skizze in der Hand, geht er über die Straße, in die Modellbauwerkstatt oder gleich in die Manufaktur. Denn egal, ob es um die Wandstärke des Metallblechs für ein Besteck geht, oder um den Charakter eines Porzellangefäßes nach dem Brennvorgang — ohne die Expertise, Erfahrungswerte und Fertigkeiten eines Handwerkmeisters geht es nicht.

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Feichtner hat Respekt vor dem Wissen, dem er in den Werkstätten begegnet. Doch ist es nicht allein die Handwerkstradition, die ihn beeindruckt. Mehr imponiert ihm dieser „kleinere Maßstab“, bei dem man viel freier arbeiten und mit jemandem experimentieren könne, weil es eben kein Produkt für viele sei. „Und was mir total gefällt, ist halt auch dieser persönliche Zugang. Bei Jarosinski & Vaugoin, der Pauli hier um die Ecke, wir gehen gemeinsam einen Café trinken, eine Semmel essen, oder ein Kipferl. Und dann legen wir los und reden drüber, wie wir das machen.“ Dies in einem Viertel, in einer Straße, machen zu können, sei traumhaft. „Bei anderen hab ich oft das Gefühl, sie rennen dem Leben hinterher.“ Doch mit solchen Manufakturen zu arbeiten, das bedeutet für Feichtner, „das Leben tief einzuatmen“.

Von Susanne Längle

Die Homepage des Produktdesigners

Erschienen in ART AUREA 2-2014