Schmuck zu machen, das sei für ihn eigentlich nur ein Vorwand, meinte der 1971 in Padua geborenen Goldschmied Giovanni Corvaja einmal, eine Art Entschuldigung, die es ihm erlaube, in ständigem Kontakt mit Gold zu sein. Magisch nennt er das Element, ein Wunder der Natur. Schaut man sich an, was Corvaja daraus macht, könnte man meinen, auch seine Schöpfungen gehorchen einem höheren Plan, so ausgereift sind seine Techniken, so einzigartig die Ergebnisse.
Ein Gespinst aus Gold (2010) oder eine Dose aus goldenen Waben (2013) – nichts ist dem „virtuoso“ unmöglich, so scheint es. Doch dahinter steckt harte Arbeit und ein langer Atem. Corvaja ist keiner, der entmutigt das Werkzeug beiseite legt, wenn es anfängt schwierig zu werden und unbekannte Wege beschritten werden müssen. Im Gegenteil, dann wird es für ihn, den Abkömmling einer Familie von Wissenschaftlern, erst richtig interessant. Monate, mitunter Jahre der Forschung und Entwicklung gehen für seine ambitionierten Projekte ins Land. Über tausend Arbeitsstunden wendet er für ein einziges Schmuckstück auf. Angetrieben von Neugierde und Gründlichkeit will er die Dinge verstehen, auch intellektuell. Ob die alten Griechen, Dante Alighieri, Arthur Schopenhauer, C.G. Jung oder der zeitgenössische Zen-Meister Thich Nhat Hanh: Kaum ein Interview, in dem Corvaja nicht eine Größe der Geistesgeschichte zitiert.
Sein erster und wegweisender Mentor jedoch ist der Großmeister der Paduaner Schule Francesco Pavan (*1937). Bei ihm absolviert Corvaja von 1985 bis 1990 eine Goldschmiedeausbildung am Liceo Artistico Pietro Selvatico. Auch in dessen Werkstatt lernt das junge Talent die von Pavan postulierte Allianz von handwerklicher Tradition und progressiven Ideen umzusetzen. Zwei weitere Lehrjahre am Royal College of Art in London und Corvaja hat seinen Master of Arts in der Tasche. Zusammen mit seiner späteren Ehefrau, der Goldschmiedin Jacqueline Ryan, die Corvaja an der Kunsthochschule kennenlernte, kehrt er 1992 zurück nach Padua. Fast zehn Jahre arbeiten sie zusammen in einer Ateliergemeinschaft. Dann verlässt Corvaja die Goldschmiedestadt Richtung Mittelitalien. Todi wird fortan sein Lebensmittelpunkt, eine Kleinstadt in Umbrien mit etruskischen Wurzeln. Sein „laboratorio“, das er sich in den Ziegelgemäuern eines eigenhändig restaurierten Gebäudes aus dem 15. Jahrhundert einrichtet, ist eine Mischung aus Alchemisten-Werkstatt und Hightech-Labor. Egal ob Blockschmelzen oder Drahtziehen – für Corvaja ist jeder Handgriff der wichtigste, dem er sich hingibt wie ein Mönch der Meditation. Viele seiner Werkzeuge und Apparaturen hat er selbst konstruiert. Corvaja braucht die Kontrolle über sein Werk, keinen der Arbeitsschritte gibt er aus der Hand, noch lässt er sich in seinem künstlerischen Schaffen von unzureichenden Mitteln beschränken. „Accidental art“, das sei etwas, das er aufs Äußerste ablehne. Erst die perfekte Technik und deren Beherrschung ermögliche einem die wahre Freiheit des Ausdrucks.
Angesichts Corvajas hehrem Streben nach universaler Schönheit und seinem Wunsch, mit seinen außergewöhnlichen Werken etwas ewig Gültiges zu schaffen, wäre es profan, seine Kunst in Zahlen zu beschreiben. Doch ein Schmuckstück, das aus 4000 Platingranulaten und über 1,2 Millionen feinsten Goldfäden besteht – was einer Gesamtlänge von 28 Kilometern entspricht – ist eine Superlative, die auch numerisch beeindruckt. Die Rede ist von einem Armreif aus der legendären Werkgruppe The Golden Fleece, mit der Corvaja nicht nur die Goldschmiedewelt in Erstaunen versetzt. Während die surrealistische Künstlerin Meret Oppenheim 1935 für ein ähnliches Schmuckobjekt zu Nerz griff, ist Corvaja das Unglaubliche gelungen: Golddraht, fünf mal dünner gezogen als ein menschliches Haar, verwandelt er in zarteste Fasern gleich göttlichem Widderfell. Das Hauptwerk des Zyklus’ besteht gar aus 160 Kilometern des kostbaren Fadens. Über neun Monate, 14 Stunden täglich, webte und knüpfte Corvaja an dem Kopfschmuck, der das Begehren von Iwan dem Großen (1440-1505) geweckt hätte: Die mützenartige Krönungsinsignie des Zaren von Russland hatte nur Zobelbesatz. Corvaja hat das Goldene Vlies nicht gefunden, er hat es sich erschaffen. Für den Künstler gibt es kein Limit. Ein Wunder? Das geschieht nicht. Ein Wunder, das ist für Giovanni Corvaja der Traum, den man sich selbst erfüllt.
Text Susanne Längle
Fotos Giovanni Corvaja
Die Webseite des Künstlers
Erschienen in ART AUREA 1-2014