Der verdrehte Deckel

Eine Kolumne von Nele van Wieringen, die zukünftig in unregelmäßigen Abständen erscheinen wird.

Kürzlich widmeten wir uns, die Restauratorin des Keramikmuseum Westerwald und ich, der Studiokeramik des 20. Jahrhunderts. Dabei beförderten wir auch Klaus Lehmanns Container aus seinem langen Winterschlaf im Depot nach oben. Klaus Lehmann gewann mit dieser Arbeit 1989 den Westerwaldpreis für frei gestaltete Keramik. Die Jury lobte die „schlichten Körper, deren Reichtum in der Beschränkung liegt, den radikalen Verzicht auf jegliches Beiwerk, jede anekdotische Anspielung.“

Wir stellten die Arbeit selbstverständlich so hin, wie im Westerwaldpreis Katalog 1989 abgebildet ist: der Deckel mit der Unterseite nach oben, spiegelverkehrt und anschließend an den Kasten. Als wir unsere Hände wegzogen, wirbelte ein klitzekleiner Aufkleber, leicht vergilbt und schon lange nicht mehr klebend, auf den Boden. Verwundert hoben wir das winzige Dokument auf.

Klaus Lehmann, Container

Bleistiftzeichnung von Klaus Lehmann zur Platzierung von Kasten und Deckel seines preisgekrönten Containers

Darauf zu sehen war eine feine Bleistiftzeichnung des Künstlers, die zeigt, wie die Arbeit ausgestellt werden soll. So bekamen wir – in Form einer posthumen Botschaft – den Auftrag, den Deckel umzudrehen.

Diese kleine Geschichte ist typisch für Klaus Lehmann, auch wenn ich den Künstler persönlich nicht gekannt habe. Lehmann liebte Überraschungen, besser gesagt: er forderte sie ein. Nichts Schlimmeres für ihn als ein Publikum, das genau das bekam, was es erwartet hatte. Nein, der Künstler wollte lieber Verwirrung stiften und Unvorhersehbares einplanen. Das Publikum sollte seine „Serendipity“ benutzen, seine Bereitschaft, offen zu sein für Unerwartetes. Lehman schlug gerne Haken. So setzte er dem Erfolg des Containers amorphe, sinnlich weichgeknetete Arbeiten entgegen.

Es stellt sich die Frage, ob Klaus Lehmann beim Anblick des Katalogs oder der Ausstellung das Museum darauf hingewiesen hat, den Deckel umzudrehen. Leider war dazu in unserem Archiv nichts zu finden. Vielleicht hat er auch nicht reagiert und es war ihm ein stilles Vergnügen, dass irgend jemand es irgendwann finden und sich wundern würde. Und so kam es auch.

Abbildung „Container“ im Ausstellungskatalog. Klaus Lehmann gewann damit 1989 den Westerwald für frei gestaltete Keramik. Posthum entdeckte Nele van Wieringen, dass der Deckel um 180° gedreht und vom Kasten weggerückt sein sollte.

Klaus Lehmann, Container

Abbildung Container im Ausstellungskatalog. Klaus Lehmann gewann damit 1989 den Westerwald für frei gestaltete Keramik. Posthum entdeckte Nele van Wieringen, dass der Deckel um 180° gedreht und vom Kasten weggerückt sein sollte

 

Zur Person von Nele van Wieringen:
Nele van Wieringen wurde 1976 im niederländischen Amersfoort geboren. Nach ihrer Lehramtsausbildung in Amsterdam sowie Kunst- und Grafikstudien in Den Haag und Florenz besuchte sie in Italien eine Keramikschule. Sie studierte bis 2013 am Institut für Künstlerische Keramik und Glas der Hochschule Koblenz und war ab 2014 Doktorandin an der Kunstuniversität Linz. Seit Februar 2018 ist Nele van Wieringen Leiterin des Keramikmuseums Westerwald. Sie ist Künstlerin und Expertin im Bereich der keramischen Glasur und der Farbe in der Keramik. Dies war auch das Thema ihrer Dissertation.