Analog und digital

Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Doch das Gestaltende Handwerk lebt von der Schönheit des Analogen.

Stärker denn je steht unsere Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen analog und digital. Während im Alltag viele Prozesse nahezu selbstverständlich digitalisiert ablaufen, bleibt im Gestaltenden Handwerk noch viel analoger Spielraum. Sollte sich ein Gestalter, anstatt wie gewohnt mit Bleistift und Papier zu zeichnen, einfach an die neuen Werkzeuge und Möglichkeiten gewöhnen, um zeitgemäßer zu arbeiten?

Analog und digital, hwk-muenchen

In der Akademie für Gestaltung und Design in München wird ein anderer Ansatz verfolgt. Seit 30 Jahren können sich Gesellen und Meister aus unterschiedlichen Gewerken in Gestaltung weiterbilden. Entwürfe beginnen hier ganz klassisch mit dem Bleistift in raschen Skribbels im Skizzenbuch. Schrift wird sogar mit dem Breitwerkzeug geschrieben und der Schwung der Hand gestaltet mit beim Nachvollziehen der Schriftgeschichte. Im Üben und Übertragen auf andere Materialien wachsen und formen sich die Gestaltungsvorstellungen. Es entsteht eine dem menschlichen Maß entsprechende ganz eigene Art von Präzision, die mathematisch schwer erfassbar ist.

Für Professor Hans Heitmann, der an der Akademie Schrift und Typografie lehrt, geht es gerade um diese subjektive Interpretation und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Lettern. Die übliche Software würde sie ausgleichen. Zu glatt fürs menschliche Auge und nicht offen genug, um interessant zu sein oder Ausdruck zu vermitteln, findet er. Er sieht eine weitere Stärke im Schreiben und Übertragen der Linien von Hand darin, dass es langsam geht. Das Denken und bewusste Üben in der Gestaltung erfordert diese Zeit. Der Kopf kann der Linie noch folgen und sie steuern – ein entscheidender Unterschied in der Geschwindigkeit der beiden Vorgänge. Denn beim digitalen Entwurf kann je nach Programm auf bereitgestellte Templates zurückgegriffen werden. Formen wachsen oder schrumpfen, rotieren am Rechner, virtuelle Körper verschmelzen mühelos und werden zuletzt im Rendering visualisiert. Ist die Software einmal erlernt, sind virtuelle Ergebnisse rasch in greifbarer Nähe, denn die Realisierung in 3-D Druckverfahren ist erschwinglich geworden und gehört nicht nur an Universitäten inzwischen zum Standard.

Analog und digital, hwk-muenchen

Beim Schaffen von Hand fließt hingegen die räumliche Erfahrung mit ein. In der Analyse der zeichnerischen Bewegung und fortschreitenden Übung erschließt sie Schicht für Schicht eine gestalterische Tiefe hin zu differenzierten Entwürfen. Eine bewusste Wahl der Werkzeuge bietet weitere Orientierung. Denn die Erfahrung aus dem Machen von Hand zeigt, dass jedes Werkzeug geführt werden muss, Eigenheiten mitbringt und einen bestimmten Formenkanon ermöglicht. Das gewählte Material setzt dem analogen Tun zusätzlich einen gewissen Widerstand entgegen. Auch das beeinflusst die Gestaltung und führt durch Üben und Ausprägen zu einer Handschrift – nicht nur im zweidimensionalen Entwurf. Oft ist das verwendete Material in der Natur gewachsen, wie z.B. Holz. Diese Maserung wird nicht vom Menschen gemacht, sondern berücksichtigt und einbezogen. Eine in diesen Reibungen gewachsene Formvorstellung definiert eine eigenständige Formqualität.

Zusammengefasst gestalten die Erkenntnisse der erfahrenen Handwerker aus dem analogen Leben also mit. Diese Stärke wird in der Weiterbildung analysiert und genutzt. Eine Sicherheit im Entwurf entsteht ja erst im Bewusstsein um die Freiheiten und der Möglichkeiten des Scheiterns. Festlegungen werden im Rahmen der Korrekturen nicht abgenommen, sie müssen selbst getroffen werden. Die Studierenden begreifen, dass Erfahrung und ein gutes Auge durch genaues Hinschauen entsteht und auch durch genaue Analyse der Fehler. Im Rechner geht es oft zu schnell, zu effizient und das Rendering als Ergebnis stellt den Gestalter zu früh zufrieden. In der Regel macht hier ja nicht der nutzende Mensch die Festlegung, sondern der Algorithmus hinter der Software. Das bietet Sicherheit und nimmt die Angst, entlastet den User von der Verantwortung, etwas falsch zu machen. Zu oft jedoch entsteht geregelte Glätte und uninteressanter Standard, die sich an mathematisch festgelegtem Vorgehen orientiert.

Akademie für Gestaltung und Design, München

In der Werkstatt der Akademie stehen allerdings auch Computer, Laser und 3-D Drucker neben Werkbank und Handwerkzeug – ein Widerspruch? Die Studierenden und Dozenten sehen es ambivalent: Einige bleiben bewusst bei tradierten Verfahren und kultivieren ihre Skizzenbücher, schreiben ihre Dokumentationen von Hand, fotografieren analog und feilen die Handmodelle aus Schaum. Andere überprüfen die neuen Möglichkeiten und übertragen ihre Erfahrung aus dem analogen Vorgehen auf computergestützte Verfahren. Das händisch entwickelte Grundkonzept kann in der weiteren Ausarbeitung der digitalen Visualisierung gegenüber gestellt und daran gemessen werden. Ganz rasch entfalten sie Varianten am Rechner, die jedoch eine vermeintlich andere Anmutung ausstrahlen.

In verschiedenen Zeitformaten vom Wochenworkshop bis zum einjährigen Kurs können diese Lehrinhalte an der Akademie aufgenommen oder wieder aufgefrischt werden. Das Ziel ist ein Gestalter im Handwerk, der verantwortungsvoll, bewusst und zeitgemäß auf den verschiedenen Ebenen agiert und seine Möglichkeiten auslotet.

Die Autorin dieses Beitrags, Barbara Schmidt, ist Leiterin der Münchner Akademie für Gestaltung und Design.

www.hwk-muenchen.de/gestalter