Gerd Rothmann – Fetisch und Skulptur

Schmuckstücke des Münchner Goldschmieds tragen physische Abdrücke des Menschen.

Es gehört zum Wesen von Schmuck, Hals, Arm oder Finger zu umfassen, sich dem Körper anzuschmiegen, am Ohr zu hängen und die Haut zu durchdringen. Die Stücke des Münchner Goldschmieds Gerd Rothmann tragen zudem noch allesamt den physischen Abdruck eines Menschen in Form von Fingerabdrücken oder als Abformung eines Körperteils – wie z.B. die legendäre goldene Nase des Sammlers Jan Teunen von 1984. Die individuelle Signatur erscheint als Fetisch von skulpturaler Kraft.

Rothmann02
Rothmann018
Rothmann34
Rothmann42
Rothmann077
Rothmann090
Rothmann099
Rothmann101
Rothmann166
Rothmann208
Rothmann225
Rothmann258
Rothmann269
Rothmann278
Rothmann294
Rothmann314
Rothmann058

Art Aurea Seit den 1970er Jahren gestalten Sie Schmuckstücke mit Körperabdrücken von Auftraggebern oder ihnen nahe stehenden Menschen. Wie sind Sie darauf gekommen?
Gerd Rothmann Das Bedürfnis, den eigenen Körper in die Gestaltung miteinzubeziehen, ist etwas sehr Archetypisches und nicht Neues. Mit meinen Körperabformungen versuche ich, etwas Persönliches und Unverwechselbares in eine ästhetische Form zu bringen. Die 1970er Jahre stehen für einen radikalen Umbruch in der Schmuckkultur. Nicht zuletzt die intensiven Kontakte mit den damals aktuellen Strömungen der bildenden Kunst veränderten auch meine Vorstellung von Schmuck. Ich suchte eine größere Direktheit. Schmuck ohne eine spezielle Verbindung zur Trägerin oder dem Auftraggeber erschienen mir beliebig, zu austauschbar. Partielle Abformungen von Körperteilen, wie Ohren, Nase, Mund, Brustwarzen, Hals, Hände, Finger und vor allem Fingerabdrücke wurden mein Arbeitsmaterial.

Art Aurea Die 1970er und 1980er Jahre waren durch eine Aufbruchstimmung geprägt, Schmuck auch als künstlerisches Medium zu nutzen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Wie bewerten Sie diese Phase aus heutiger Sicht.
Gerd Rothmann In den 1970er Jahren war die Akademie der bildenden Künste in München mein inspirierendes Umfeld, obwohl ich dort nicht studiert habe. Doch prägte der von der Akademie ausstrahlende Geist meine Sichtweise und Haltung zur Kunst. Ich musste mir die existenzielle Frage stellen, was ich als Goldschmied aus meinem Handwerk entwickeln kann, das meinen ästhetischen Ansprüchen Stand hält. Daraus resultierte eine Kampfansage gegen die bürgerliche Schmuckästhetik. Ähnlich dachte auch Otto Künzli. Gemeinsam konnten wir im Kontext der Gegenwartskunst der damaligen Zeit, unsere körperbezogenen Arbeiten entwickeln. Der konstruktive Austausch führte 1982 zur gemeinsamen Ausstellung und dem Katalog mit dem Titel „Körperkultur“.

Art Aurea Inzwischen zeigen auf den Schmucktagen in München während der Handwerksmesse alljährlich Hunderte SchmuckmacherInnen in einer Vielzahl von Ausstellungen künstlerisch ambitionierten Schmuck. Ist damit der zeitgenössische Schmuck als vitaler Bereich anspruchsvoller Gegenwartskunst etabliert?
Gerd Rothmann Die Frage ist schwer zu beantworten. Die Galerien und die alljährliche Handwerksmesse mit ihren großen Ausstellungsmöglichkeiten und diverse Publikationen, bestimmen den Markt für Schmuck. Sie wecken das Interesse. Der Kreis der Sammler und Käufer wird immer größer. Umfangreiche Schmucksammlungen werden an Museum gegeben. Künstlerisch interessanter, außergewöhnlicher Schmuck wird in der Öffentlichkeit immer aktueller. Ich denke aber, dass Schmuck immer angewandte Kunst ist. Dieses Angewandte hat eigene künstlerische Ansätze und Aufgaben. Ein wirklich interessantes Schmuckstück findet seinen eigenen Markt. Große Kunstmessen wie Basel, Köln oder Miami, haben eine strenge Teilung. In der einen Ausstellungshalle ist die bildende Kunst vertreten, in der anderen das Design. Im Bereich Design sind die Schmuckgalerien seriös und fest etabliert und hier finden sie aufmerksame, kritische Käufer.

Art Aurea Ihre Stücke sind während der Münchner Schmucktage seit vielen Jahren zusammen mit Arbeiten der Schmuckkünstler Robert Baines und Karl Fritsch in der Residenz zu sehen – organisiert jeweils von der Münchner Galerie Biró. In diesem Jahr bestücken Sie eine Einzelausstellung in der Galerie Handwerk. Was ist das Besondere daran?
Gerd Rothmann Wir als Künstlergruppe brauchten eine Verschnaufpause. Nächstes Jahr werden wir wieder gemeinsam unsere neuen Arbeiten zeigen. Das Interessante an der Ausstellung in der Galerie Handwerk ist, dass mein umfangreiches Archivmaterial – von den Anfängen bis zur Gegenwart – als Werkübersicht gezeigt wird. Die Zusammenarbeit mit der Galerie war sehr konstruktiv. Ich konnte die Räume persönlich gestalten. Die Idee war, nicht manifestierend, sondern möglichst chronologisch vorzugehen. Die Ausstellungsdauer von sechs Wochen ist begrenzt und eine Folgeausstellung in dieser Größe, wird es wohl nicht geben. Es werden viele Zweitanfertigungen zu sehen sein. Die Originale, der personenbezogenen Schmuckstücke, sind im engen Zusammenhang und Austausch mit dem Auftraggeber oder der entsprechenden Personen entstanden. Die noch einmal angefertigten Stücke sind für das Archiv, für Ausstellungen, oder eventuelle Museumskäufe von Bedeutung.

Art Aurea Die Körperabformungen, die Sie in schlichten Formen in Ihrem Schmuck verarbeiten, sind eine Art Markenzeichen von Ihnen geworden. Was fasziniert Sie bis heute an diesem Thema?
Gerd Rothmann Über Schmuck im ursprünglichen Sinn nachzudenken und eine künstlerische Auseinandersetzung zu führen, war immer meine Motivation. Die Suche nach einem unmittelbaren, sinnlichen Zugang, nach einer Art Poesie, ist mein Thema. Ein guter Freund und erfolgreicher Maler sagte einmal: „Rothmann, Du hast es gut, du weißt wenigstens, für wen Du was machen musst“.

Art Aurea In den 1970er Jahren haben Sie auch mit Acryl als Schmuckmaterial experimentiert. Warum sind Sie wieder zur fast ausschließlichen Verwendung des traditionellen Materials Gold zurückgekommen?
Gerd Rothmann Gold ist doch in jeder Hinsicht das Beste vom Besten, es ist die absolute Krönung! In den 1980er Jahren entdeckte ich auf einem Zinnsymposium die spezifische Qualität von Zinn: seine faszinierende grausilbrige Farbe und die durch den niedrigen Schmelzpunkt außergewöhnlich einfache Gusstechnik. Der direkte Umgang mit diesem Metall war ein Schlüsselerlebnis. Man kann alles Mögliche abformen und sofort gießen, man hat relativ schnell Ergebnisse auf dem Tisch. Wie Ideenskizzen haben die Gussteile eine wichtige, faszinierende Funktion. Nach dem kostbaren Gold habe ich mit Zinn ein zweites Material für mich entdeckt.

Fragen Reinhold Ludwig

Photo Ulrike Myrzik

  • Affären – Werkübersicht von Gerd Rothmann
    Galerie Handwerk
    Max-Joseph-Straße 4
    80333 München
  • Link